Das 18. Jahrhundert

1712: Thomas Newcomen baut die erste industriell eingesetzte Dampfmaschine

Maschinen sind im Bergbau schon früh eingesetzt worden: Es mußte Wasser, Abraum und Erz oder Kohle gehoben werden. Wenn dies nicht mit Wasserkraft möglich war, wurden z.B. Pferde eingesetzt. Suhling berichtet von einem Kohlebergwerk in Mittelengland, bei dem 1702 für die Wasserhaltung 500 Pferde eingesetzt waren 1.

Die Problematik beschäftigte viele, sogar Gelehrte wie Gottfried Wilhelm Leibniz, Christiaan Huygens und dessen Assistent Denis Papin 2. Letzterer nutzte Dampf in verschiedenen Apparaten. Thomas Savery (1650-1715) schließlich erhielt 1698 ein Patent auf eine kolbenlose Dampfpumpe (Miner’s Friend). Alle Maschinen, die Wasser mit Hilfe von Feuer hoben, wurden von diesem Patent erfaßt. Inwieweit Savery’s Pumpe das drängende Problem vieler Minen löste, ist fraglich. Bei Youtube findet sich ein Video, wo die Idee anschaulich wird 3.

Als schließlich Thomas Newcomen (1663-1729) eine funktionierende Maschine schuf, mußte er Savery beteiligen. Es gibt nur sehr wenig gesicherte Information über Thomas Newcomen und seine erste Maschine. Der Kupferstich in Bild @fig:1712-1 ist die wesentliche Quelle. Er wurde 1719 von Thomas Barney angefertigt. Es heißt dort:

The STEAM ENGINE near Dudley Castle Invented by Capt. Savery, & Mr Newcomen Erected by ye later, 1712

Die Dampf Maschine bei Dudley Castle Erfunden von Capt. Savery & Hr. Newcomen. Erbaut durch letzteren, 1712

Kupferstich Thomas Barney 1719: Die Dampf Maschine bei Dudley Castle{#fig:1712-1}

Lt. Hulse sind nur vier Abzüge des Stiches bekannt 4. Hulse geht auch sehr detailliert auf die einzelnen Bauelemente der Maschine ein. Er legt ferner dar, wie in den Folgejahren eine Reihe von Maschinen nach dem Vorbild von Newcomen gebaut wurden.

Newcomens Dampfmaschine. Zeichnung aus Meyer's Konversationslexikon 1890{#fig:1712-2 height=8cm }

Das Bild @fig:1712-2 zeigt vereinfacht die wesentlichen Bauteile gemäß der folgenden Legende:

Der im Wasserkessel A erzeugte Dampf wird über das Rohr C in den Zylinder B eingeleitet. Hierdurch bewegt sich der Kolben D, entsprechend der Vorrichtung von Papin, unterstützt durch das Gegengewicht K, nach oben. Die Kraftkopplung erfolgt durch die am Kolben D starr fixierte Stange E, die wiederum durch eine Kette am Balancier F fixiert ist, an dessen anderem Ende das Gegengewicht K über die Kette H fixiert ist. Das Pumpgestänge I ist starr mit dem Gegengewicht gekoppelt und wird von diesem herabgedrückt und in die Höhe gezogen. Durch Verschluss des Rohrs C mittels eines Hahns ist der Zylinderinhalt eingeschlossen, wenn aus dem Wasser Vorratsgefäß L Wasser über die Leitung P in den Zylinder einsprüht. (Genau dieser Zustand ist in der Abbildung dargestellt.) Es tritt die Kondensation des im Zylinder befindlichen Dampfes ein. Hierdurch entsteht im Zylinder ein Vakuum und der Kolben D wird durch den von außen auf ihn wirkenden Luftdruck heruntergedrückt. Gleichzeitig wird über den Balancier F das Gegengewicht K mit dem Pumpgestänge I gehoben. Das Rohr R ist das Ableitungsrohr für das Kondensationswasser, S kennzeichnet den im Reservoir eingetauchten, U-förmigen Abschnitt des Rohrs, der für einen dampfdichten Verschluss des Zylinders sorgt. M ist das Gestänge einer kleinen Hilfspumpe, deren Druckleitung N das Reservoir L gefüllt hält. In der ursprünglichen Auslegung wurden die Hähne von einem Arbeiter bedient.

Über die Entstehungsgeschichte, auch über Thomas Newcomen und seinen Partner John Calley als Personen, ist nur sehr wenig bekannt. Im wesentlichen gibt es zwei zeitgenössische Autoren, die über Newcomen geschrieben haben. Zum einen John Theophilus Desaguliers (1683-1744), ein Geistlicher der Church of England, Autor eines Werkes über »A course of Experimental Philosophy«, Mitglied der Royal Society und Freund Isaac Newtons. Desaguliers war also Teil der wissenschaftlichen Elite seiner Zeit. Newcomen wird er nicht gekannt haben. Dessen Leistung stellte er als eine Kette reiner Zufallsfunde dar. Wörtlich schrieb er 1744 5:

… almost every Improvement has been owing to Chance.

… praktisch jede Verbesserung war dem Zufall geschuldet.

Schon mit der Wortwahl »Improvement«, also Verbesserung statt »Invention« also Erfindung setzte er Newcomen herab. Ich halte Desaguliers für einen sehr voreingenommenen Autor, der Newcomen und Calley

great Sagacity, and a thorough Knowledge of Philosophy,

Verstandesschärfe und eine gründliche Kenntnis der Naturwissenschaften

rundweg abspricht 6.

Beim zweiten Autor, der über Newcomen geschrieben hat, liegen die Dinge anders. Es handelt sich um Marten Trievald (1691-1747), der als junger Mann aus Schweden gekommen war und dann 10 Jahre in England blieb. Er sammelte dort ab 1716 praktische Erfahrungen beim Betrieb von Steinkohlezechen. Trievald gibt an, mit Newcomen persönlich bekannt gewesen zu sein. Bzgl. des Kerns der Erfindung, also der Einspritzung kalten Wassers in den Zylinder, schreibt Trievald 1734 7:

The work on the prototype of the fire-engine was carried on for ten years altogether and may never have achieved the desired result, if Almighty God had not providentially allowed something very special to occur. During the last test that they intended making with the prototype it happened that a greater effect than expected was caused by the following event. The cold water, that had been allowed to flow into the leaden jacket, surrounding the cylinder, penetrated the cylinder wall through a casting fault mended with tin-solder, which had been melted by the steam. Forcing itself into the cylinder the cold water immediately condensed the steam, causing such a high vacuum that the weight hooked on to the one end of the little beam of the prototype, which was supposed to represent the weight of water in the pumps, was so insufficient and the air pressed with such a tremendous force on the piston that its chain broke and the piston itself knocked the bottom of the cylinder out and smashed the lid of the small boiler. The hot water flowing everywhere convinced also their senses, that they had discovered an incomparably powerful force, that hitherto had been entirely unknown in nature - at least the way in which it originated was unknown.

Though some might think that this was an accident, I for my part, find it impossible to believe otherwise than what happened was due to a very special ordering of Providence , particularly when I, who knew the original inventors, consider that the Almighty then bestowed upon mankind one of the most wonderful inventions ever brought into the light of day, and this through persons who had never acquired higher learning or academic degrees.

Die Arbeit am Prototypen wurde 10 Jahre lang fortgeführt und hätte vielleicht dennoch nicht das gewünschte Resultat erbracht, wenn der allmächtige Gott nicht eine glückliche Fügung gestattet hätte. Beim letzten Versuch, den sie [Newcomen und Calley] durchführen wollten, reagierte der Prototyp viel stärker als bis dahin erlebt. Das kalte Wasser, das man in den Bleimantel, mit dem der Zylinder umgeben war, eingefüllt hatte, drang durch einen mit Zinn geflickten Lunker [eine Fehlstelle im Guß], welcher durch den Dampf undicht geworden war, in den Zylinder ein. Dieses Wasser kondensierte den Dampf, wodurch ein so großer Unterdruck entstand, dass das Gewicht, welches am Balancier befestigt war und das Wasser in den Pumpen darstellte nicht mehr ausreichte. Die Kette brach, der Kolben durchschlug den Boden des Zylinders und beschädigte den Deckel des kleinen Kessels. Überall spritzte heißes Wasser herum und zeigte ihnen, dass sie eine bis dahin ganz und gar unbekannte große Kraft gefunden hatten.

Obwohl man dies für einen Unfall halten könnte, scheint mir, dass dies nicht ohne das Wirken der Vorsehung möglich gewesen sein kann, gerade wenn man wie ich die Erfinder kennt und sieht, dass der Allmächtige der Menschheit eine der wunderbarsten Erfindungen durch Personen hat zuteil werden lassen, die nie eine höhere Bildung erfahren haben oder akademische Titel trugen.

Selbst wenn den Erfindern tatsächlich ein glücklicher Zufall den Weg gewiesen haben sollte, so war die praktische Umsetzung, die Konstruktion der verschiedenen Ventile sowie der Steuerung eine bemerkenswerte Leistung.

Offensichtlich war die Newcomen-Maschine mit den äusserst beschränkten Mitteln der Zeit doch an vielen Orten herstellbar und trotz ihres geringen Wirkungsgrades (wohl kleiner 1 %) nützlich.

Pryce schrieb 1778 8:

Mr. Newcomen’s invention of the steam fire engine, even in the weakness of its infancy, promised that future excellence to which it is since arrived, whereby we are enabled to sink our Mines to twice the depth we could formerly do by any other machinery.

Mr. Newcomen’s Erfindung der Dampf Feuer Maschine versprach schon im Frühstadium ihrer Entwicklung die Leistungsfähigkeit, zu der sie nun herangereift ist, welche es uns nun ermöglicht, unsere Minen doppelt so tief vorzutreiben als wir es bis dahin mit irgendeiner anderen Maschine tun konnten.

Neben solcher qualitativer Aussage finden sich gelegentlich sogar quantitative. In Griff Colliery wurden 1712 50 Pferde für die Wasserhaltung eingesetzt. Die Kosten dafür betrugen 900 Pfund. 1744 waren statt der Pferde drei Newcomen-Maschinen am Werk. Nun wandte man 450 Pfund für die Wasserhaltung auf - bei vermutlich mehr abzupumpenden Wasser als gut 30 Jahre zuvor 9. Um 1725, so schreibt Bottomley, betrug die Lizenzgebühr für einen 24” Zylinder (60 cm) 150 Pfund pro Jahr. Es hat aber wohl auch Lizenzgebühren gegeben, die von der geförderten Menge an Kohlen abhingen. Bis 1733, als das Savery-Patent erlosch, sind 106 Feuermaschinen gebaut worden. Wie oben bemerkt, ist über Newcomen als Person praktisch nichts bekannt. Erstaunlicherweise lassen sich aus erhalten gebliebenen Papieren und Abrechnungen zu den Lizenzeinnahmen Rückschlüsse auf seine Einnahmen ziehen. Bottomley spricht von mindestens 5100 Pfund, die Newcomen aus dem Patent zugeflossen seien.

Bild @fig:1712-3 zeigt eine sehr schöne Zeichnung einer späten Newcomen-Maschine, bei der der Kessel vom Zylinder abgesetzt wurde. Ferner wurde ein Balancier aus Guss benutzt. Ich lese in der Zeichnung die Jahreszahl 1894, bin aber nicht sicher, ob das Datum der Zeichnungserstellung gemeint ist oder das Baujahr der Maschine.

Newcomen-Maschine in der Zeche Caprington, bei Kilmarnock{#fig:1712-3}

Die frühe Fotografie in Bild @fig:1712-4 zeigt eine Newcomen-Maschine, die als Fördermaschine eingesetzt wurde.

Foto einer Newcomen-Fördermaschine, gebaut und genutzt um 1790 in Coalbrookdale{#fig:1712-4}

Von dem im Black Country Living Museum errichteten Nachbau einer Newcomen-Maschine finden sich im Netz mehrere Videos, siehe z.B. 10.

Stand: 24.11.2018


  1. Suhling, 1983, S. 182 

  2. Bottomley schreibt, dass zwischen 1661 und 1700 insgesamt 28 Patente erteilt wurden, in denen die Wasserhaltung Patentgegenstand war. Bottomley, 2014, S. 234 

  3. YouTube Roel Kickken: Miners Friend van Thomas savery 

  4. Hulse, 1999, S. 20 

  5. Rolt / Allen, 1977, S. 42 

  6. a.a.O S. 42 

  7. a.a.O S. 42 

  8. Pryce, 1778, S. 308 

  9. Bottomley, a.a.O. S. 243 

  10. Youtube Rob Dickinson: Black Country Living Museum - Newcomen Engine