1775: Die Laufzeit des Watt’schen Patents 913 wird bis zum Jahr 1800 verlängert

Nachdem Matthew Boulton John Roebuck als Partner Watt’s abgelöst hatte und erhebliche Summen investiert hatte, sorgten die neuen Partner sich um die Restlaufzeit des Patentes von nur noch 8 Jahren. Sie schätzten die immer noch bestehenden technischen Probleme nun realistisch ein. Matthew Boulton gelang es, in intensiver Lobbyarbeit im Parlament die Zustimmung zu einer Verlängerung zu erreichen. Am 22.05.1775 wurde die Verlängerung des Patentschutzes bis zum Jahr 1800 rechtskräftig. Von nun an galt das Patent auch für Schottland 1.

1775: Matthew Boulton und James Watt werden offiziell Partner

Im Juni 1775 wurde die Partnerschaft rechtlich geregelt, d.h. kurz nach der Verlängerung des Patentschutzes. Boulton hatte die Aufgabe, die geschäftlichen Belange zu vertreten, Watt hatte Zeichnungen zu erstellen und die Ausführung zu beaufsichtigen. Dafür erhielt er ein Grundgehalt von 300 GBP p.a. sowie einen Anteil von 1/3 an den erhofften Gewinnen 2:.

Matthew Boulton{#fig:1775-1}

Watt und Boulton waren sich im Jahre 1768 erstmals begegnet. Folgt man der Literatur, so müssen die Männer sich von Anfang an sympathisch gewesen sein. Schon kurze Zeit nach dem ersten Treffen hatte Roebuck (zu der Zeit Partner Watt’s und der wichtigste Geldgeber) Boulton ein Angebot gemacht, in die Partnerschaft einzusteigen. Dieses war für Boulton jedoch nicht akzeptabel. Nachdem Roebuck immer wieder in finanziellen Schwierigkeiten steckte, mußte Watt sogar als Landvermesser arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Als Roebuck auch noch in den Strudel einer Bankenkrise geriet, war es schließlich Boulton, der Roebuck’s Schulden beglich und dafür Roebuck’s Anteil am Patent Watt’s übernahm. Boulton’s Einlage war erheblich. Tann beziffert sie auf 1 Mio. GBP nach heutigem Wert.

Boulton hatte das vom Vater gegründete Unternehmen, in dem Knöpfe, Schnallen u.ä. hergestellt wurden, zielstrebig ausgebaut. Seine neu erbaute und 1765 eröffnete »Soho Manufactory« war eines der ersten großen Fabrikgebäude und erregte viel Aufmerksamkeit.

1775: John Wilkinson baut eine neue Zylinderbohrmaschine

Das Herstellen einer auch nur annähernd genauen Bohrung war lange Zeit unmöglich. Die Arbeit als solche muß äusserst mühsam gewesen sein.

Allwang zitiert K. Häneke, der 1927 »zeitgenössische Nachrichten aus Amerika um 1800 wiedergibt«. Ich habe das Original identifiziert. Es ist erneut der schon vorgestellte T.P. Cope, gefunden bei Graff 3. Hänekes Übersetzung und Zusammenfassung scheint mir treffend, daher gebe ich sie wieder 4:

… Unglaublich schwierig war es, ihn zu bohren. Jedenfalls waren zwei Männer nötig; einer, mit einem Hammer bewaffnet, saß im Zylinder und hatte die Messer in Ordnung zu halten. Der andere sorgte für den Vorschub des Zylinders. Ein dritter Arbeiter hatte vollauf zu tun, die Messer zu schleifen. Das Bohrwerk ging Tag und Nacht, nur mittags wurde es kurze Zeit stillgesetzt, da der Zylinder zu heiß wurde. Alle 10 Minuten mußte man die Messer auswechseln, was auch 10 Minuten Zeit erforderte, so daß es der Maschine trotz Tag- und Nachtbetrieb nicht an Ruhezeit fehlte. Wir erfahren auch, daß die Schneidwerkzeuge sich in 10 Minuten etwa 3,17 mm abnutzten. Drei Monate bohrte man bereits, und noch etwa 6 Wochen würde es dauern, bis die Arbeit fertig wäre …

Ich verstehe den Text so, daß Cope eine Maschinerie gesehen hat, wie sie John Smeaton zum Bohren benutzt hat 5. Bei dieser Maschine wurde der Bohrkopf durch einen Schlitten »geführt«, der im Rohteil abrollte. Mit diesem Aufbau, sehr wahrscheinlich auch aus Holz, konnte keine hinreichende Genauigkeit erzielt werden.

John Wilkinson oder mit seinem Spitznamen Iron Mad Wilkinson trug mit seinen Eisenhütten ganz maßgeblich dazu bei, Produkte aus Gusseisen im industriellen Maßstab herzustellen (1707 hatte Abraham Darby I den Sandformguß erfunden). Wilkinson erhielt 1774 ein Patent auf ein neues Verfahren zum Gießen und Ausbohren eiserner Kanonen. Im Mai 1775 besuchte Matthew Boulton Wilkinson und erkannte, daß dieses Verfahren auch für die Dampfzylinder anwendbar sei.

John Farey schrieb 1827 6, wohl James Watt zitierend:

Mr. Wilkinson has improved the art of boring cylinders; so that I promise upon a 72 inch cylinder being not further distant from absolute truth, than the thickness of a thin sixpence in the worst part.

Hr. Wilkinson hat die Kunst Zylinder zu bohren verbessert. Ich verspreche, dass bei einem Zylinder mit 182 cm Durchmesser die Abweichung im schlimmsten Fall die Dicke einer dünnen Sixpence-Münze beträgt.

Der Vergleich mit dem (damals) silbernen Sixpence war sicher als großes Lob gemeint, macht aber auch deutlich, dass es noch kein Maß gab, welches man hätte nennen können - aber die Münze, die im Weihnachts-Pudding steckte, war jedem bekannt.

1919 fand man in den Boulton and Watt Papieren in Birmingham eine Zeichnung mit dem Titel »Drawing of the Bersham Boring Mill« 7 von John Gilpin, undatiert, aber lt. Andrew vermutlich aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Diese Zeichnung dürfte Grundlage u.a. für das Modell der Bersham Boring Mill aus dem Science Museum London gewesen sein, vergl. Bild @fig:1775-2.

Modell von Wilkinson's Bersham Bohrwerk 1775{#fig:1775-2}

Die Bohrstange war nun auf beiden Seiten geführt, dadurch war der Aufbau viel starrer. Nun konnte eine Bohrung mit einer Genauigkeit von ca. 2 mm bei 1800 mm Zylinderdurchmesser erreicht werden 8.

Es ist zu vermuten, daß in all diesen Fällen unlegierter Werkzeugstahl benutzt wurde, sog. Kaltarbeitsstahl, der bei ca. 200 °C auf der Schneidenoberfläche seine Härte verliert. Erste Hinweise auf legierte Stähle habe ich erst 1868 gefunden vergl. [1868: Robert Mushet produziert R.M.S., Robert Mushet’s Special Steel, einen legierten Werkzeugstahl]. RMS enthielt Wolfram. Lt. Mommertz konnte die Schnittgeschwindigkeit damit um 50 % gesteigert werden 9.

Hills schreibt, daß Boulton & Watt bis 1795 die Gußteile von Wilkinson bezogen haben 10. Zu diesem Zeitpunkt gründeten sie die Soho Foundry, siehe [1796: Die Soho Foundry von Boulton & Watt wird eröffnet]. Vermutlich war einer der Gründe, dass Wilkinson in nennenswertem Umfang Maschinen »schwarz« gebaut hatte, also ohne Lizenzgebühren zu entrichten. Bottomley zitiert Watt und spricht von 35 Maschinen 11. Boulton & Watt befanden sich in einer unangenehmen Situation: es gab keinen anderen Betrieb, der Zylinder hätte ausbohren können, Wilkinson hatte ein Monopol.

Stand: 8.11.2018


  1. Tann, 2013, S. 94 f. 

  2. Tann, a.a.O. S 95 

  3. Graff, 1876 

  4. Allwang, 2002, S. 26 

  5. Allwang, a.a.O. S 24 f. 

  6. Farey, 1827, S. 320 

  7. Vermutlich Jim Andrew in Bagott, 2016, ohne Seiten 

  8. Leider ist mir die Quelle für diese Werte verloren gegangen. Ich werde sie in der Webversion nachtragen. 

  9. Mommertz, 1981, S. 98 

  10. Hills, 1989, S. 76 f. 

  11. Bottomley, 2014, S. 253 ff.