1861: Stephen Morse patentiert einen Spiralbohrer

Eine Loch in Guss- oder Schmiedeeisen bohren - ohne einen Spiralbohrer? Geht denn das?

Als Antwort auf diese Frage würden die heutigen Zerspanungsmechaniker im 2. Lehrjahr sich wahrscheinlich an die Stirn tippen. Eigentlich zeigt das aber nur, wie schnell auch Werkzeuge aus dem Bewußtsein der Fachwelt verschwinden können. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war der Spitzbohrer der Bohrer, siehe Bild @fig:1861-1. 1 2.

Spitzbohrer von einem Werkzeugmacher hergestellt{#fig:1861-1}

Mommertz schreibt zum Spiralbohrer (auch Wendelbohrer genannt) 3:

Wendelbohrer von 1822 und 1980. Der gefräste Wendelbohrer tat viel für den Ruf der amerikanischen Werkzeuge. Allein in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden mehrere Wendelbohrerfabriken in den USA gegründet.

Als Bildquelle nennt er das Polytechnische Journal, Band IX, 1823, S 60f. Lt. Dingler-Online ist der Jahrgang 1823 im Band X. Dort findet sich die Zeichnung im Abschnitt »Der Bohrer mit schnekenförmig gewundenen Gängen.« Es heißt:

Auch dieses Instrument (Fig. 30) gewährt, wie der amerikanische Central-Beisser, den Vortheil, daß die Späne sich während des Bohrens von selbst herausschieben; ein Umstand, der auf der Drehebank von hoher Wichtigkeit ist. Dieses Instrument wird aus einem dichten cylindrischen Stüke Stahles verfertigt, welches mit zwei der Länge nach schnekenförmig hinlaufenden Kanälen durchzogen wird, deren jeder sich vorne an der Spize in zwei schneiden endet, und zwar, was sehr viel zu seiner Schärfe beiträgt, ungefähr wie der B. 2. S. 147 (B. 9. S. 303 des polytechnischen Journals) beschriebene Bohrer aus Gußeisen. Auch dieses Instrument kam mit Hrn. Perkins aus America herüber, ist aber in England nicht ganz unbekannt. Wir erinnern uns, vor mehreren Jahren an einer Maschine in Hrn. Bramah’s berühmter Patent-Schloßfabrike zu Pimlico fünf Bohrer von ähnlicher Form gesehen zu haben, welche auf einmal eben so viele Löcher in Messingtafeln bohrten; hätten sie nicht die Eigenschaft besessen, sich selbst von den Bohrspänen zu reinigen, so könnten sie ihrem Zweke in dieser Maschine nimmermehr entsprochen haben.

Als Quelle wird angegeben: »Herr Gill in seinem Technical Repository. November

  1. S. 335.« 4

Dort findet sich in der Tat ein Kapitel: »The Drill with Helical Grooves«. Der Dingler-Text ist eine fast wörtliche Übersetzung dieses Originals.

Die nächste Erwähnung des Spiralbohrers ist rund 40 Jahre jünger. Charles T. Porter schrieb in seiner Autobiographie über diesen Bohrer 5. Ich zitiere nach der deutschen Übersetzung von 1911 im Reprint VDI 1985 S. 30-31:

Während der Vorarbeiten für die Einrichtung der Regulatorenfabrik besuchte ich die Werke von George S. Lincoln & Co. in Hartford und sah dort Spiralbohrer im Gebrauch, die Lockenspäne schnitten, statt Brockenspäne abzuschaben. Sie erregten meine Aufmerksamkeit, ich erkundigte mich nach ihnen und hörte, daß sie sie selbst machten. Man führte mich bereitwillig in die Werkzeugschmiede und ließ einen vor meinen Augen verfertigen. Der Schmied machte einen Rundstahl warm und schmiedete mit einem Gesenk zwei gegenüberliegende Längsnuten ein. Sie hatten einen ganzen Satz von Ober- und Untergesenken für Kanäle von verschiedenem Querschnitt. Er gab dem Stahl darauf eine zweite Hitze und verdrehte ihn von Hand, wobei er eine allmählich wachsende Steigung erzeugte, die am bohrenden Ende recht steil war. Der Bohrer wurde dabei in einen Schraubstock eingespannt, so daß nur das herausstehende Ende die stärkere Steigung erhielt. Der Bohrer wurde natürlich in mehreren Höhen nacheinander in den Schraubstock eingespannt. Die Nuten wurden nachgefeilt und wenn dann der Bohrer auf der Drehbank abgedreht wurde, erhielt man scharfe Schneiden, die nur noch hinterschliffen zu werden brauchten. Ich nahm mir einen von diesen Bohrern als Muster mit nach Hause und versah meine Werkstatt mit solchen. Sie waren von größtem Wert für mich. Die kleinen bohrten die Löcher für die Triebbolzen und die großen bohrten das Gegengewicht und die Spindelsäule aus. Soviel ich weiß, entstammt der Spiralbohrer ursprünglich diesen Werken in Hartford.

In England habe ich nie Spiralbohrer arbeiten sehen, ausgenommen in den Whitworth-Werken, und ich hatte von ihnen den Eindruck, daß sie die merkwürdigsten Dinger waren, die ich je gesehen habe. Sie wurden vom Grobschmid aus Vierkantstahl und durch eine schnelle gleichförmige Verdrehung hergestellt, blieben unbearbeitet und führten sich nicht im Loch, und die Enden waren abgeflacht wie beim gewöhnlichen Zentrumbohrer und schnitten nicht, sondern schabten.

Als ich im Jahre 1868 aus England zurückkehrte, kamen Spiralbohrer in Amerika allgemein in Aufnahme. Erst nach 1876 führte sie die Firma Smith & Coventry in England ein.

Soweit das Zitat Charles Porters. Ich konnte keine klare Zeitangabe finden, vermute jedoch, daß dies vor 1862 war (Porter nahm 1862 an der Weltausstellung in London teil).

Sollte der Spiralbohrer tatsächlich in Vergessenheit geraten sein? Lt. der »Timeline of United States inventions (before 1890)« 6 wurde der Spiralbohrer 1861 von Morse erfunden:

A twist drill is a bit with two cut grooves in opposite sides of a round bar, whereby the twisted bar produces a helical flute in order to drill holes in metal, plastic, or wood. The twist drill was invented by Stephen A. Morse in October 1861 and later patented on April 7, 1863.

Ein Spiralbohrer hat zwei gegenüberliegende Nuten in einem Rundmaterial, wodurch das in sich verdrehte Rundmaterial eine zylindrische Wendel ausbildet um Löcher in Metall, Plastik oder Holz zu bohren. Der Spiralbohrer wurde im Oktober 1861 erfunden und am 7. April 1863 patentiert.

In Morse’s Patent von 1863 7 heißt es:

The common drill scrapes the metal that is to be drilled, while my drill cuts the metal and discharges the chips and borings without clogging.

Der herkömmliche Bohrer schabt das Metall, welches gebohrt werden soll, wohingegen mein Bohrer das Metall schneidet und die Späne ohne Verstopfung abführt.

Genau das war ja auch schon die Aussage 1822.

Das Endergebnis mag ähnlich ausgesehen haben, aber die Herstellung ist durch Morse revolutioniert worden. Die Nuten des Bohrers, der im Polytechnischen Journal 1823 vorgestellt wurde, sind sicherlich gefeilt worden. Das war nicht nur äusserst mühselig (die Feile wurde in einem Ausmaß genutzt, welches uns heute nicht mehr bewußt ist) sondern war bei kleineren Bohrungsdurchmessern schlicht nicht möglich. Beim Bohrer, den Charles Porter beschrieb, wurden die vorgeschmiedeten Nuten nachgefeilt - das klappt auch nur bei größeren Exemplaren. Morse hingegen ließ die Nuten fräsen - die dafür eigens entwickelte Fräsmaschine [vergl. 1862 Universal-Fräsmaschine von Brown & Sharpe] wurde erst danach für andere Aufgaben genutzt.

Dennoch dauerte es geraume Zeit, bis der »neumodische« Spiralbohrer den hergebrachten Spitzbohrer verdrängt hatte. Der Spiralbohrer musste in jedem Fall zugekauft werden, einen Spitzbohrer konnte jeder Schmied oder Schlosser selbst herstellen (mehr oder weniger gut). Selbst dort, wo der Unternehmer seine Werkstatt mit importierten Spiralbohrern ausgestattet hatte, mußten diese ja auch nachgeschliffen werden, was nicht mehr so einfach wie beim Spitzbohrer war.

Mommertz schreibt zum Ablöseprozeß 8:

Daß der Wendelbohrer trotz seiner eindeutigen Vorteile gegenüber dem Spitzbohrer

  • bessere Führung des Bohrers in der Bohrung,
  • schneidende Zerspanung statt schabender Spanabnahme (s. Abb. 85 und 86)
  • bessere Spanbildung und Spanabfuhr

und der sich daraus ergebenden höheren Bohrleistung den Spitzbohrer nur langsam ablöste, könnte zumindest folgende Gründe gehabt haben, die aus einem Vergleich der in Abbildung 87 dargestellten Meßdiagramme ableitbar sind:

  • Beim Bohren in Grauguß mit kleinen Vorschüben unterscheiden sich die auftretenden Belastungen für Spitz- und Wendelbohrer nicht so deutlich wie beim Bohren in Stahl. Da bis zur Erfindung der Frischverfahren für Massenstähle hauptsächlich Grauguß und weiches Schmiedeeisen verarbeitet wurden, konnten die Vorteile des Wendelbohrers nicht deutlich werden. Dies galt insbesondere, solange der Vorschub noch von Hand betätigt wurde, also sehr gering war.

  • Beim Bohren in Stahl fällt auf, daß das Drehmoment, das der an den Bohrerschneiden auftretenden Widerstandskraft proportional ist, ein Minimum bei 60° Steigungswinkel hat und bei kleinerem Steigungswinkel wieder ansteigt.

Geht man davon aus, daß die ersten Wendelbohrer eine den Holzbohrern ähnliche Steigung von 35°-40° hatten, was auf Grund der Abbildung 64 durchaus zu vermuten ist, so lag auch hier der Vorteil des Wendelbohrers nicht sofort auf der Hand. Auch hier gilt, daß die Belastungsunterschiede erst mit größeren Vorschüben deutlich wurden.

Außerdem hatten die ersten Wendelbohrer offensichtlich keinen hinterfrästen Steg, so daß die am Umfang auftretenden Reibungskräfte das Widerstandsmoment noch erhöhten. Die Umfangsreibung erwärmte den Wendelbohrer rascher als den freischneidenden Spitzbohrer, was bei den verwendeten unlegierten, nicht warmfesten Werkzeugstählen ein wesentlicher Nachteil war. Wann der Wendelbohrer seine heutige Form erhalten hat, ist nicht genau bekannt. Die Normung von Wendelbohrern erfolgte erst nach dem Ersten Weltkrieg.

Benad-Wagenhoff fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu 9. Bedingt durch wenig biegesteife Maschinengestelle und den toten Gang der Spindellagerung baute sich beim Bohren eine axial wirkende Federkraft auf, die in dem Moment, in dem die Bohrerspitze fast schon wieder austrat, dazu führte, dass der Bohrer einen dickeren Span erfaßte, dadurch evtl. blockiert wurde und brach. Man hatte gehofft, dass der in sich stabilere Spiralbohrer davon nicht betroffen sein würde. Dies war jedoch nicht der Fall. Als man nach der Jahrhundertwende von Kohlenstoffstahl auf Schnellschnittstahl wechselte, trat das Problem sogar verschärft auf, da das neue Material spröder war.

1861: Bei Krupp wird der Dampfhammer Fritz in Betrieb genommen

Am 16. September 1861 wurde in der Krupp’schen Gußstahlfabrik in Essen der damals größte Schmiedehammer der Welt in Betrieb genommen, siehe Bild @fig:1861-2. Die Masse des Fallgewichtes (Bär) betrug 30 t, später 50 t. Mit einem dampfbetriebenen Kettenantrieb konnte der Bär bis zu 3 m angehoben werden. Alfred Krupp machte selbst Vorgaben zur Konstruktion. Es sollte das Fallgewicht des größten Hammers von Le Creusot (Krupp’s Konkurrent in Frankreich) in jedem Fall übertroffen werden 10. Lt. Berdrow existiert eine von Krupp selbst angefertigte Skizze 11.

Dampfhammer Fritz{#fig:1861-2 width=15cm}

1889 schreibt Diedrich Baedeker über seinen Besuch des Krupp’schen Hammerwerkes 12:

Hochinteressant ist es zu sehen, mit welcher Sicherheit der glühende Koloss von den Arbeitern in Empfang genommen wird, wie er mittelst gewaltiger Eisenstangen und Maschinen in seinem Kettenlager dirigirt wird, fast geräuschlos und scheinbar ohne Mühe. Gesprochen wird nicht viel, das Hauptwort führt „Fritz“, nur ein Wink des Hammermeisters und der „Bär“ (Hammer-Block) hebt sich, einmal noch fährt er probeweise bis zum Schmiedestück herunter, um sicher zu sein, dass die richtige Stelle unterliegt, dann athmet zweimal die Maschine kurz, wie um Luft zu schnappen, und nun saust das Ungethüm von 50 Tonnen auf das glühende Gussstück herab, dass ein Sprühregen von Funken sich nach allen Seiten ergiesst und man sich unwilllkürlich nach Deckung umsieht. Wohl dröhnt der Schlag, wohl zittert die Erde in der nächsten Nähe, aber der Amboss steht auf einem tiefen, mit über 1 m dicken Eichenbalken und Gusseisenblöcken aufgefüllten Schachte, und deshalb zeigt das Gebäude nicht einmal Spuren von Rissen. Leicht und elastisch bewegt sich der Eisenkoloss, von einer nur kleinen Schaar Menschen bedient. Dem Arbeiten mit solchen Kräften zuzusehen ist wahrlich imposant. Schon die Pfeiler, die den Rahmen bilden (ca. 6 m im Umfang), erinnern an die stärksten Eichenstämme unserer Wälder. Solche Metallmassen sieht man selten so nahe vereint.

Aber selbst in diesem Bericht wird deutlich, dass die Tage des Hammers gezählt sind:

Man will deshalb zu einer in ihren Wirkungen nicht minder kräftigen, aber ohne Stoß wirkenden Arbeitsmaschine, der hydraulischen Schmiedepresse, übergehen. Augenblicklich sind für die Firma zwei grosse hydraulische Schmiedepressen im Entstehen begriffen, von welchen die eine 5 Millionen Kilogramm, die andere 2 Millionen Totaldruck hat. Man erwartet nicht nur, dass die Schmiedepressen grössere Leistungsfähigkeit zeigen, sondern man ist auch der Ansicht, dass die Arbeit mit der Schmiedepresse derjenigen mit dem Dampfhammer vorzuziehen sei, da die Wirkung sich bei der ersteren tiefer in die Metallmasse erstreckt, dieselbe gewissermaßen durchknetet.

Bei Youtube findet sich ein Film, der den Betrieb eines Dampfhammers in Indien im Jahr 2008 zeigt 13.

1861: Krupp gründet eine Photographische Anstalt

Alfred Krupp hat die Bedeutung des neuen Mediums Fotografie früh erkannt. Er ließ den technischen Zeichner Hugo van Werden zum Fotografen ausbilden. Auf die Umstände, unter denen die frühen Aufnahmen entstanden, wirft dieses Zitat ein Schlaglicht 14:

… die ersten Fabrikaufnahmen […] von 4 Uhr morgens bis abends 6 Uhr [dauerten und] ein[e] halbe Stunde belichtet werden mußten. Die erforderlichen Apparate und das Gerüst wurden von Zimmerleuten hochgezogen. Bei einer solchen Gelegenheit bekam Herr van Werden Durchfall und mußte mehrere Male den Turm hinabsteigen. Herr Krupp hatte das bemerkt und frug van Werden um die Ursache. Als dieser ihm sagte, daß er Durchfall habe, riet ihm Krupp: »Nimm doch einen Topf mit hinauf«.

Im Januar 1867 legt Alfred Krupp zur Vorbereitung zur Pariser Weltausstellung fest 15:

Für die Pariser Ausstellung und für einzelne Geschenke an hochstehende Personen müssen wir neue Photographien im Mai, wenn Alles grünt und der Wind stille ist, ausführen. Ich denke nämlich, dass die kleinen Photographien vollkommen im Allgemeinen ausreichen, daneben wünschte ich aber in größtem Maaßstabe eine oder besser zwei Ansichten mit Staffage und Leben auf den Plätzen, Höfen und Eisenbahnen. Ich würde vorschlagen, dass man dazu Sonntage nehme, weil die Werktage zu viel Rauch, Dampf und Unruhe mit sich führen, auch der Verlust zu groß wäre. Ob 500 oder 1000 Mann dazu nöthig sind, stelle ich anheim. Es ist nachtheilig, wenn zu viel Dampf die Umgebung unklar macht, es wird aber sehr hübsch sein, wenn an möglichst vielen Stellen etwas weniger Dampf ausströmt. Die Locomotiven und Züge sind auch sehr imponierend so wie die großen Transportwagen für Güsse. Wenn Herr Diechmann dies zeitig mit v. Werden überlegt und Alles vorbereitet wird, so kann das ein gelungenes Bild werden. […] Diese Bilder müßten für mehrere Jahre vorhalten und wenn sie so schön werden wie ich mir denke, so mag die Aufnahme incl. Vergütung für die Leute ein paar Tausend Thaler kosten.

Stand: 7.6.2017