1908: Bei der »Ersten Brünner Maschinenfabrik« wird die erste Gleichstromdampfmaschine nach den Patenten von Johann Stumpf gebaut

Bei der Gleichstromdampfmaschine findet die Dampfausnutzung, wie der Name andeutet, im Gleichstrom statt, d.h. der Dampf wird in gleichbleibender Richtung durch die Dampfmaschine hindurchgeführt.

Dieses Zitat von Johann Stumpf 1 beschreibt das Prinzip der Gleichstromdampfmaschine. Dieses war schon lange bekannt und es hatte diverse Patente und Versuche gegeben. Der Nachteil der konventionellen Dampfmaschine (auch als Wechselstromdampfmaschine bezeichnet) liegt eben darin, dass die gleichen Teile der Maschine im Verlaufe eines Taktes sowohl vom Frischdampf als auch vom Abdampf durchströmt werden. Vielen Praktikern dürfte das schon intuitiv klar gewesen sein. Vielleicht zählt Jacob Perkins (1766-1849) dazu, der schon 1827 Versuche gemacht haben soll, vielleicht auch Eaton 1857 2.

Ganz sicher hat Leonard Jennett Todd sich ab 1885 mit der Gleichstromdampfmaschine befasst. Er hat klar erkannt, dass es thermodynamisch sinnvoll wäre, den Zylinder auf getrennten Wegen mit Frischdampf zu versorgen bzw. den Abdampf zu entsorgen. Letztlich gelang ihm aber keine adäquate konstruktive Umsetzung. Hills nennt Stumpf als denjenigen, der die technischen Probleme löste. Mit ihm habe die eigentliche Entwicklung dieses Prinzips begonnen 3.

Skizze einer Gleichstromdampfmaschine nach Stumpf{#fig:1908-1 width=7cm}

Johann (auch Johannes) Stumpf (1863-1936) gehörte zu den ersten Ingenieuren, die eine Ausbildung im Sinne der heutigen technischen Hochschulen erfuhren. Nach Abschluß seines Studiums an der heutigen Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen blieb er als Assistent dort. Mit seinem Chef Alois Riedler kam Stumpf 1893 zur Weltausstellung in Chicago (mit dieser sollte der vierhundertste Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus 1492 gefeiert werden - aber man hatte sich etwas verspätet). Stumpf blieb drei Jahre in Chicago und leitete den Pumpen-, Verdichter- und Corlissdampfmaschinenbau einer dortigen Firma. Ab 1896 wirkte er als ordentlicher Professor für Dampfmaschinenbau an der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin (später TU Berlin) 4.

Die 1908 in Brünn (damals Österreich, heute Tschechien) nach seinen Angaben gebaute Maschine war eigentlich ein Umbau. Eine 80 PS Maschine wurde mit einem Gleichstrom-Zylinder und Lentz-Ventilen ausgestattet. Schon im Jahr danach nahm ein britischer Hersteller eine Lizenz von Stumpf und begann Gleichstrommaschinen zu bauen 5.

Im gleichen Jahr hielt Stumpf einen Vortrag. Zum Prinzip seiner Maschine hiess es 6:

Eine Dampfmaschine, deren Zylinder aus zwei einfachwirkenden, mit den durch Schlitze gesteuerten Auspuffenden an einander stoßenden Zylindern gebildet wird, und deren Einlaßventile in den geheizten Zylinderdeckeln liegen, s. Fig. 1, wird von Prof. Stumpf, Charlottenburg, als Gleichstromdampfmaschine bezeichnet, weil der Dampf in stets gleichbleibender Richtung durch jeden Zylinder hindurchgeführt wird. Der Frischdampf tritt von unten in die Deckel ein, heizt die Deckelflächen, tritt dann durch die Ventile oben in die Zylinder ein, folgt Arbeit verrichtend dem Kolben und tritt nach vollzogener Expansion durch die am entgegengesetzten Ende des Kolbenhubes angebrachten, vom Kolben gesteuerten Auslaßschlitze aus. Im Gegensatze hierzu bewegt sich der Dampf bei den gewöhnlichen Dampfmaschinen im Wechselstrom, insofern er am Kopfende des Zylinders eintritt, dem Kolben während der Arbeitsleistung folgt und wieder an dem gleichen Kopfende austritt. Bei dieser Umkehr des Dampfes findet eine starke Abkühlung der Deckel- und Zylinderflächen durch den nassen Auspuffdampf statt, welche starke Zylinderkondensation bei der nächsten Füllung mit sich bringt. Bei der Gleichstromdampfmaschine werden diese Verluste vermieden. Ebenso wird vermieden, daß der Abdampf an den geheizten Flächen vorbei ausströmt, und auf diese Weise unnötig geheizt wird. Mantelheizung ist hierbei nicht angenommen.

Durch die Anwendung der Auspuffschlitze wird die Steuerung der Maschine sehr vereinfacht. Es sind nur die beiden Einlaßventile vorhanden, welche durch eine von einem Exzenter angetriebene Stange betätigt werden. An der Ventilspindel, s. Fig. 2, ist eine schiefe Fläche und an der hin- und hergehenden Stange eine Rolle angebracht, wobei die Nut, in welcher die Rolle sitzt, zugleich als Oelbad dient. Die Führung der Stange ist so ausgebildet, daß die Nut mit dem Oelbad niemals aus der Führung heraustritt, wodurch das Herausfließen und Verschmutzen des Oeles vermieden wird.

Dieses Konzept wurde von einer ganzen Anzahl von Herstellern aufgegriffen und weiterentwickelt. Besonders bekannt wurde die Skinner Engine Company aus Pennsylvania mit ihrer »Universal Unaflow Engine«. A.D. Skinner baute nach einem Besuch in Deutschland 1910 Maschinen und verletzte Stumpf’s Patentrechte 7. Skinner führte die Entwicklung fort, nutzte Überhitzung und begann in der 1920er Jahren auch, Gleichstrommaschinen mit mehreren Zylindern zu bauen. Es darf angenommen werden, dass Maschinen dieses Typs die effizientesten Kolbendampfmaschinen waren.

Stand: 15.11.2018


  1. Stumpf, 1910, Kapitel IX 

  2. Hills, 1989, S. 258 ff. 

  3. Hills, a.a.O. S. 263 

  4. Johann Stumpf im Catalogus Professorum der TU Berlin Abgerufen 15.11.2018 

  5. Hills, a.a.O. S. 265 

  6. Dingler, 1910, Band 325 (S. 154–159) 

  7. Hills, a.a.O. S. 269 f.