Vorbemerkung
Im Aussengelände des Deutschen Museums München befindet sich ein Exponat, für das ich mich seit Mitte 2022 interessiere. Es handelt sich dabei um einen sog. »Brown’schen Dampfkran«, wie er ab 1866 zur Ausrüstung des Sandtorkais im Hamburger Hafen gehörte. Insgesamt 16 Stück lieferte der Hersteller, die Londoner Firma Brown, Wilson & Co für diese erste moderne Kaianlage. Neben 3 weiteren Dampfkränen mit höherer Traglast gab es dort 8 Handkräne für kleinere Lasten.
Auch bei den nächsten Kaianlagen wurden Kräne des schottischen Konstrukteurs Brown eingesetzt. Erst Mitte der 1880er Jahre endete ihre Ära.
Es ist daher ein Glücksfall, daß ein Exemplar 1923 von Hamburg ins Deutsche Museum nach München kam und dort zu besichtigen war. Im folgenden finden sich meine Rechercheergebnisse zur Entwicklungsgeschichte des Brown’schen Dampfkrans.
Erster Hinweis
Den allerersten Hinweis auf den Kran verdanke ich einem Beitrag in einem Forum für Schiffsmodellbau 1. Dort finden sich auch eine Reihe guter Fotos, die den Kran 2015 zeigen. Hier nur eines davon 2:
Dank Albert Gieselers Datenbank 3 erfuhr ich die Inventar-Nummer 51666 und den Hersteller Brown Brothers & Co. Ltd., Rosebank Iron Works. Das deckte sich perfekt mit dem Foto der „Makersplate“ im genannten Forumsbeitrag.
Weitere Fundstellen zum Exponat im Web fand ich nicht - auch nicht beim Museum selber. Mit dem Namen des Herstellers ging es weiter.
1864: Patent und erster Artikel in „The Engineer“
Unter dem Titel „Brown’s Machinery for Raising Weights“ berichtete „The Engineer“ im Januar 1865 4 über ein Patent von Andrew Betts Brown aus dem Vorjahr 5. Zum Beitrag gehören 9 Abbildungen, zu Fig. 1 und 2 heisst es etwa 6:
Der Kessel a ist auf dem Rahmen b montiert, welcher durch 4 Räder c verfahrbar ist. Der Dampfzylinder mit z.B. 11 ½ in. (ca. 300 mm) und einem Hub von z.B. 5 ft (ca. 1.500 mm) liegt im Maschinenrahmen und ist an den Achsen befestigt (in Fig. 1 gestrichelt, in Fig. 2 mit d markiert). Die Kolbenstange e, e wird durch die Stopfbuchse und auch in der Stirnseite des Rahmens geführt. Am Zylinderboden sowie am Ende der Kolbenstange sind je drei Seilscheiben f,f gelagert. Über diese wird Kette oder Seil geführt. Das eine Ende ist unterhalb des Zylinders fest angeschlagen, das andere Ende wird über eine weitere Seilrolle, die am Gerüst befestigt wird, geführt. Hier wird die Last angeschlagen.
Strömt nun Dampf in den Zylinder, so wird die Kolbenstange herausgeschoben. Durch den Flaschenzug legt das Kettenende mit der Last den 6-fachen Weg zurück, also immerhin 9 m bei 1,5 m Hub. Wichtig dabei: Der Kranhaken steigt 6-mal so schnell wie die Kolbenstange. Selbstverständlich steigt auch die für den Hub benötigte Kraft.
Die Beschreibung wird fortgeführt:
Dampf wird über das Rohr i zugeführt, welches am Ventil k angeflanscht ist. Hebel l betätigt k. Dabei handelt es sich um ein Dreiwegeventil mit hohlgebohrtem Küken, welches mit dem Zylinder in Verbindung steht. Eine Querbohrung verbindet so entweder das Frischdampfrohr oder den Auspuff mit dem Zylinder.
Um zu verhindern, daß der Kolben an den Zylinderdeckel schlägt, gibt es das Rohr m und die Stange n. Damit wird das untere Ende des Hebel l mit dem Kreuzkopf verbunden. Wird nun n aus m gezogen, wird durch das Versetzen der Klemmschraube o der Hub begrenzt. Diese Maschine ist sehr gut geeignet, um Lasten auf Gerüste zu heben.
Ganz unabhängig davon, daß die Bezeichnung „o“ in den Zeichnungen m.E. fehlt, halte ich diese Konstruktion für nicht alltagstauglich. Das Stichwort »Gerüst« legt nahe, daß Brown hier ein einfaches Hebezeug für Baustellen anbieten wollte.
Aber nicht nur das. Weitere Abbildungen zeigen eine deutlich komplexere Maschine, einen Kran 7:
Aus einem liegenden Hubzylinder sind nun zwei stehende geworden. Diese sind symmetrisch zur Drehachse des Krans angeordnet. Ausleger, Hubzylinder, Kessel und sonstige Komponenten befinden sich auf einer Drehplatte, die auf dem Unterwagen mit 8 Rollen gelagert ist. Die Kolben befinden sich im unteren Totpunkt, daher erkennt man das Querhaupt nur schlecht. Massive Zugstangen verbinden die Spitze des Auslegers mit seiner Seilscheibe mit den Hubzylindern und dem aus der Mitte gerückten Stehkessel – der Ausleger ist starr. In der Draufsicht kann man einen weiteren Zylinder „erahnen“ 8. Seine Kolbenstange ist mit einer Zahnstange gekoppelt (siehe Fig. 7), welche ein Ritzel bewegt und so den Kran schwenkt. Mit zwei Hebeln R, R (diese sind in der Draufsicht zu sehen, in der Ansicht sind sie gestrichelt im Kessel zu erkennen) werden zwei Muschelventile gesteuert.
Der Text des Artikels (des Patentes?) wird hier insgesamt diffus – das ist ja auch nachvollziehbar, will man doch den Wettbewerbern entscheidende Einzelheiten nicht auch noch ohne Not präsentieren. Auch für das Problem Kolben im oberen Totpunkt gilt das. Hier werden einstellbare Muttern und spiralig ausgebildete Federn erwähnt. Vielleicht war es aber ganz schlicht auch so, daß Brown sich zu diesem Zeitpunkt zwar des Problems bewußt war, aber noch keine Lösung hatte.
1865: Ein Patent speziell für den Fall des Kettenbruchs
Im Dezember 1865 hatte Brown dann eine Lösung und auch den zugehörigen Patentschutz durch das britische Patent 3130 9. Ich gebe hier nur das Ziel des Patentes wieder, Aufbau und Wirkungsweise werden im folgenden noch hinreichend beschrieben:
Diese Erfindung hat Verbesserungen bei Dampfkränen und Hebezeugen zum Ziel, vor allem bei denen, wo der Hub durch einen Kolbenhub eines Dampfzylinders dadurch vervielfacht wird, daß die Hubkette über Rollen [Flaschenzug] verläuft; solche Kräne und Hebezeuge, wie sie aktuell konstruiert werden, besonders in größerer Ausführung, sind mehr oder weniger gefährlich wenn sie nicht mit besonderer Vorsicht benutzt werden. Falls die Kette brechen sollte, wird der hohe Dampfdruck im Zylinder den Kolben herausschleudern. Um dies zu verhindern …
1866: Probekräne und Ausrüstung des Sandtorkais
Bei den Planungen zur Ausrüstung des Sandtorkais, der ersten Kaianlage in Hamburg im heutigen Sinn, also auch mit Hebezeugen und Schuppen, heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes Hamburger Speicherstadt, konnte zunächst keine Einigkeit bzgl. der Hebezeuge erzielt werden. Daher führte man im Jahre 1865 eine Ausschreibung durch. Es wurde eine Tragkraft von 1,6 t gefordert, eine Hubgeschwindigkeit von 0,6 m/sec, Hubhöhe 10,3 m und eine veränderliche Ausladung von 6,8 auf 9,2 m, ferner ein Dampfkessel mit 8-9 m**2 Heizfläche 10. Die Kräne mußten auf Gleisen verfahrbar sein 11.
Es gab daraufhin eine Reihe von Angeboten. Der damalige Hamburger Wasserbaudirektor Johannes Dalmann schrieb 1868 12:
Auf diese Submissionsbedingungen liefen eine Menge Offerten, zum Theil mit sehr geistreich bearbeiteten Projecten ein.
Für mich klingt das so, als wenn einige Angebote nicht so recht ernst zu nehmen gewesen wären - aber vielleicht täusche ich mich. Jedenfalls ist heute nicht klar, welche der Angebote nur auf dem Reißbrett existierten bzw. wo schon entsprechende Kräne gebaut worden waren. Es gab folgende Angebote:
- Luftkräne, bei denen eine stationäre Dampfmaschine Druckluft erzeugte. Die Zuleitung wies in kurzen Abständen Stutzen auf, von denen der Kran dann mittels eines kurzen starren Rohres die Druckluft entnehmen sollte. Zylinder + Getriebe waren so konstruiert, wie man es von Dampfkränen kannte.
- Turbinenkrähne, bei denen eine stationäre Dampfmaschine Druckwasser erzeugte, welches über eine teleskopartige Leitung zum Kran geführt werden sollte, um dort eine Turbine zu betreiben.
- Hydraulische Kräne. Auch hier sollten teleskopartige Leitungen genutzt werden.
- Dampfkräne mit stationären Kesseln.
- Dampfkräne mit Kesseln auf dem Kran.
Die Angebote kamen aus Belgien, aus England und aus Deutschland. Dalmann schreibt:
Nach langen Verhandlungen fiel der Spruch der Commission dahin aus, daß keiner der Entwürfe die Garantie für einen vollständig gesicherten Kranbetrieb liefere. Sie sprach sich principiell für hydraulische Krähne aus; wolle man aber Dampfkrähne, so rathe sie, das Krahngleis um einen Fuß zu verbreitern, die Krähne an die Schienen zu klammern, und eine um 2 Fuß größere Höhe für die Krähne zu wählen.
Dalmann hatte von Beginn an Dampfkrähne favorisiert. Er bestellte zwei Dampfkräne, einen in England bei Appleby 13 und einen bei Waltjen in Bremen 14. Die Vorgabe der Kommission, die Kräne an die Schienen zu klammern, mißachtete er. Grund dafür war, daß Dalmann die Geschwindigkeit beim Ladevorgang ganz besonders wichtig war.
Bei einer Reise in England hatte Dalmann den Prototypen des Krans von Andrew Betts Brown kennengelernt. Er besaß den unternehmerischen Mut, auch bei Brown einen Kran zu bestellen. Es existiert ein historisches Foto, welches diesen Prototypen zeigen soll 15. Ohne hier zu sehr in die Details zu gehen: Ich bewundere den Mut Dalmanns, da ich davon ausgehe, daß er genau den fotografierten Kran gesehen hat - dieser steht starr auf dem Chassis.
Nur zwei Kräne wurden termingerecht geliefert: Der eine von Appleby, der andere von Brown. Im Januar 1866 gab es dann ein mehrstündiges Probekranen 16. Dalmann hielt „die Überlegenheit des Principes , welches in dem Brown‘schen Krahn zur Anwendung gebracht war“ fest. Bei den angegebenen Daten fällt auf, daß der Brown‘sche Kran weniger Kohle verbraucht und nur von einem Maschinisten bedient wurde, der auch den Kessel heizte. Appleby‘s Kran erforderte Maschinist und Heizer.
Bosselmann schreibt zum Kran Appleby’s:
Der größte Nachteil des Applebyschen Krans war jedoch das stoß- und ruckweise Arbeiten, das durch den Gebrauch von Verschieberädern bedingt und außer Unfallgefahr starken Verschleiß der Triebwerksteile mit sich brachte. Ferner mußte bei jedem Unschalten der Verschieberäder die Maschine zum Stillstand gebracht, bzw. auch umgesteuert werden, wodurch die Bedienung ausserordentlioh erschwert wurde.
Dagegen Dalmann zum Brown’schen Kran:
Besonders wohltuend wirkte auch bei dem Brown’schen Krahn die gänzlich geräuschlose Arbeit; ausser dem Rasseln der Kette und dem Pfeifen des ausströmenden Dampfes hörte man kein Geräusch.
Die in der Ausschreibung geforderte Hubgeschwindigkeit von 0,6 m/sec wurde mit 2,3 m/sec deutlich übertroffen.
Es wurde beschlossen, den Sandtorkai mit Kränen dieser Bauform auszurüsten. Brown verpflichtete sich, eine noch fehlende Bremsanlage hinzuzufügen. Nach weiteren Verbesserungen war Dalmann nach dem Ablauf der Garantiezeit von zwei Jahren mit den Kränen zufrieden. Er schrieb, daß sie in ihrer Leistungsfähigkeit „alle bis dahin bekannten Krähne weiter hinter sich“ lassen.
Der Sandtorkai erhielt 16 Brown‘sche Dampfkräne, es gab ferner drei Kräne mit einer Kapazität von 3 bzw. 5 Tonnen sowie 8 Handkrane mit 1 Tonne. Die Kaianlage wurde im August 1866 offiziell eröffnet. Ende des Jahres waren die Brown‘schen Kräne alle geliefert 17.
1868: Betriebserfahrungen am Sandtorkai
Im Februar 1868 publizierte Johannes Dalmann einen ausführlichen Aufsatz zum „Hafen in Hamburg-Altona“ in der „Zeitschrift für Bauwesen“ 18. Der Artikel wurde in zwei Teilen gedruckt. Im ersten Teil geht es um die Gesamtanlage des neuen Hafenbeckens und um zentrale Elemente wie den aufwendigen Unterbau der Kaianlage. Im zweiten Teil befasste Dalmann sich mit den Hebezeugen, der Ausschreibung, dem Probekranen und den Ergebnissen aus 1867, dem ersten vollen Betriebsjahr.
Zum Stand des Brown’schen Kranes im Januar 1866 schrieb er:
Der hauptsächlichste Mangel des Krahnes bestand darin, daß ihm jede Bremsung fehlte. … Ereignete es sich aber, daß z.B. die stark belastete Kette … während des Hebens brach, so mußte nothwendig der expandirende Dampf die Kolben in die Höhe schleudern, und dieselben würden wahrscheinlich die Cylinderdeckel zertrümmert haben …
Aber Brown hatte seine patentierten Ideen offensichtlich gut umgesetzt. Erneut Dalmann:
Ich forderte … daß man die Schlinge eines Collis der schwersten Art während des Hubes kappen könne, ohne daß sich dabei ein anderer Unfall, als das Zurückfallen des Collis ereigne. Die Fabrikanten haben nach manchem vergeblichen Versuch nicht allein diese Bedingung erfüllt, sondern überhaupt … eine Maschine geliefert, welche alle bis dahin bekannten beweglichen Krähne weit hinter sich läßt.
Letztlich lesen wir:
Es spricht für den Werth einer Sache, wenn ehemalige Gegner dieselbe anerkennen. In dem ersten diesjährigen Heft des Organs fiir die Fortschritte des Eisenbahnwesens hat Herr Maschinenmeister Grüson, der eifrigste Gegner der Dampfkrahnanlage auf dem Sandthorquai, einige, freilich nicht völlig richtige Mittheilungen über die Brown’schen Krähne gemacht, und sich anerkennend über dieselben ausgesprochen. Daß sie gegen seinen Rath zur Ausführung gekommen sind, verschweigt er indes 19.
1872: Die Kräne des Kaiserkais – bewährtes Prinzip, neuer Ausleger
Der 1872 eröffnete Kaiserkai war das Folgeprojekt des Sandtorkais. Im Vorfeld der Kran-Beschaffung hatte es eine Neuauflage der alten Diskussion bzgl. Stehkessel gegeben, d.h. es wurde erneut geprüft, ob eine zentrale Dampfversorgung für mehrere Kräne mit beweglichen Rohrleitungen nicht effizienter sei. Auch über rein hydraulische Hebezeuge wurde erneut nachgedacht. Man blieb jedoch bei dem bewährten Prinzip. Es wurden 23 Kräne bei Brown gekauft. Das von Dieter Maass so benannte „Modell 2“ hatte einen gebogenen Ausleger, s.u.
1873: Der Kran bei der Wiener Weltausstellung
Im Oktober 1873 berichtete „Engineering“ über Hebezeuge bei der Wiener Weltausstellung, die Ende des Monates zu Ende ging 20. Leider hatte der Artikel keine Bilder, aber er rundet das Gesamtbild dennoch ab.
Die einzige britische Maschine, über die nun noch gesprochen werden muß, ist der verfahrbare patentierte kombinierte Dampf- und Hydraulikkran der Firma „Brown Brothers and Co.“ Rosebank Iron Works aus Edinburgh.
Gestartet in London (Cannon Street) als Brown & Wilson hatte Andrew Betts Brown umfirmiert. Seit 1870 gab es ein neues Werksgelände „Rosebank Iron Works“ in Edinburgh, der Heimatstadt Browns 21. Die Quelle legt nahe, daß der Vertrag mit Hamburg Auslöser für die Gründung dieses neuen Werks war.
Hier wird noch einmal die Grundidee Brown‘s schön formuliert:
Dieser Kran ist für das Entladen von Schiffen o.ä. gebaut, wo die Geschwindigkeit im Vordergrund steht … Neben dem Kessel, der deutlich größer ist als es bei der geringen Last (1,5 t) des Krans zu erwarten wäre, befinden sich zwei Dampfzylinder mit ca. 400 mm ø und ca. 2.000 mm Hub. Die Kolbenstangen der beiden Zylinder sind mittels eines Querhauptes verbunden, an welchem ferner die Kolbenstange eines Wasserzylinders mit dem gleichen Hub und etwa mit dem halben Durchmesser angebunden ist, welcher sich zwischen den beiden Dampfzylindern befindet. Das Querhaupt bewegt die Kette und damit die Last über einen dreifachen Flaschenzug, jedoch nicht, wie normal, derart, daß die Kraft den sechsfachen Weg der Last zurücklegt und dadurch die Kraft nur ein Sechstel beträgt, sondern genau gegenteilig so, daß die Last sich sechsmal so schnell wie das Querhaupt bewegt und so die beiden Zylinder die sechsfach größere Kraft aufbringen müssen (Reibung nicht betrachtet).
Zum Bremsen lesen wir:
Mit dem Wasserzylinder wird zusammen mit einer Reihe selbsttätiger Ventile sehr geschickt verhindert, daß im Falle eines Kettenbruchs oder durch eine Unaufmerksamkeit des Kranführers der Kolben den Zylinderdeckel durchschlägt. Das Ablassen der Last wird völlig mittels des Wasserzylinders gesteuert, welcher so auch als Bremse dient. Direkt nach Ende des Hubes wird der Dampf abgelassen und die Last durch den Wasserzylinder gehalten.
Es werden weitere Neuerungen erwähnt:
Ein kleinerer Dampfzylinder mit ca. 300 mm Bohrung und einem Hub von ca. 900 mm, der sich zwischen den anderen Zylindern und dem Kessel befindet, sorgt mittels eines Kettenzuges für eine rasche Drehbewegung des Krans. Eine kleine Zweizylindermaschine im Unterwagen des Krans, die durch den Drehzapfen mit Dampf versorgt wird und einen bemerkenswerten Mechanismus durch Umkehr der Drehrichtung hat, sorgt für das Verfahren.
Der Zylinder für das Schwenken wurde 1868 auch von Dalmann bzw. Gruson schon erwähnt und dargestellt. Ganz neu ist die Erwähnung einer weiteren Maschine im Unterwagen für das Verfahren des Kranes auf den Schienen. Das war bislang durch Einhaken des Kranhakens irgendwo am Kai und anschliessendem Heben geschehen.
Der Autor des Artikels gibt anschließend Meßwerte an (d.h. heißt, daß der Kran in Betrieb vorgeführt wurde). Die Last dabei bleibt allerdings vage „some hundredweights“, das heißt mindestens 100 kg. Ein Hub wird mit 4 sec für knapp 5 m angegeben, Drehen um 180° in ca. 12 sec und Ablassen ca. 2,5 sec. Abschliessend erfahren wir, daß 30 Kräne dieses Typs im Hamburger Hafen eingesetzt wurden. Auch der in Wien ausgestellte wurde nach Hamburg verbracht.
1876: Ein weiterer Artikel – der Ausleger nun als gebogener Kastenträger
Im Dezember 1876 berichtete „The Engineer“ erneut über Brown‘s Kran 1, diesmal mit drei guten Abbildungen.
Zunächst einmal ist offenkundig, daß die Bauweise des Auslegers geändert wurde. Nun wird ein bogenförmiger Kastenträger eingesetzt, wohl ganz ähnlich dem, der von William Fairbairn 1850 patentiert wurde 22:. Der kurze Text bringt nichts Neues. Eine Maschine zum Verfahren des Krans ist nicht zu erkennen.
Abschliessend heißt es im Artikel:
Es gibt keine Zahnräder, die brechen könnten, und die ganze Konstruktion ist so einfach gehalten, daß sie kaum ausfallen kann.
Die meisten historischen Fotos Brown’scher Dampfkräne im Hamburger Hafen zeigen diesen Typus. Viele dieser Fotos sind undatiert, oft ist auch der Aufnahmeort unklar. 1877 entstand eine Lithograhie, die durch die Veröffentlichung in der Gartenlaube ein breites Publikum erreichte 23.
1883 + 1890: Die Konstruktion Brown‘s in den Lehrbüchern
1883 veröffentlichte Adolf Ernst sein Buch über Hebezeuge 24. Dort beschrieb er die Brown‘sche Konstruktion in der Gattung „Hebemaschinen mit Dampftreibkolben“. Es gibt eine ausführliche Beschreibung der Kräne am Sandtorkai anhand eigener Zeichnungen.
1890 erscheint der 4. Band des »Handbuch der Ingenieurwissenschaften« 25. Im XIII. Kapitel geht es um Hebemaschinen. in §42 werden »Kräne mit Betrieb durch Elementarkraft« behandelt, u.a. der Kran Brown’s. Diesem Buch ist die folgende schöne Abbildung entnommen, mit der ich meinen Überblick über den Brown’sche Dampfkran in der technischen Literatur schließe:
Eine Ära geht zu Ende
Mitte der 1880er Jahre wurde die letzte Kaianlage in Hamburg mit Brown‘schen Dampfkränen ausgestattet 26. Nach dem Vorbild von Kränen, die 1886-88 für den Bremer Freihafen I entwickelt worden waren, wurden danach „Halbportalkräne“ eingesetzt. Diese verfuhren mit einer Seite auf einer am Schuppen befestigten Schiene und auf der anderen Seite direkt am Kai und nahmen deutlich weniger Platz in Anspruch als ihre Vorgänger. Zunächst noch mit Dampfmaschine ausgestattet, jedoch ohne Einzelkessel, erfolgte die Dampfversorgung zentral 27. Dies erwies sich als problematisch. Nun hielt eine neue Betriebskraft Einzug: Man bestellte zwei Probekrane, einen mit elektrischer Ausrüstung von Siemens & Halske, den anderen bei der AEG. Der letzte Brown‘sche Dampfkran im Hamburger Hafen wurde bei einem Bombenangriff im 2. Weltkrieg zerstört 28.
Folgt man Braun, so waren bis zu 300 Brownsche Dampfkräne im Einsatz. Das heute im Deutschen Museum München befindliche Exemplar wurde 1923 ausser Betrieb genommen 29.
Stand: 03.11.2022
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https://www.schiffsmodell.net/index.php?/forums/topic/14202-britischer-dampfkran-im-deutschen-museum/ Abgerufen 16.7.2022 ↩
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Die Erlaubnis zur Wiedergabe des Bildes liegt mir vor – vielen Dank Michael! ↩
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http://www.albert-gieseler.de/dampf_de/firmen0/firmadet1360.shtml Abgerufen 11.7.2022 ↩
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The Engineer: Vol. 19 6.1.1865 S. 8 ↩
-
British Patent No. 897 „Machinery for Raising Weights” 9. April 1864 A. B. Brown (see “Alphabetical Index of Patentees and Applicants for Patents of Invention, For the Year 1864”) ↩
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Die Übersetzungen sind von mir. ↩
-
In der Grafik des Artikels sind vmtl. aus Platzgründen die einzelnen Abbildungen ineinander geschachtelt. Die hier gezeigte Anordnung ist von mir. ↩
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Dieser wird auch im Artikel beschrieben, allerdings ohne eine wirkliche Klärung herbeizuführen. ↩
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English Patents of Inventions, Specifications: 1865, 3129 – 3185. Improvements in Steam Cranes and Hoists. 5.12.1865 No. 3130 ↩
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Herbert Bosselmann: Die Entwicklung der Kaikrane im Hamburger Hafen bis zum Ausbruch des Weltkrieges unter besonderer Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Auswirkung. In: Schriftenreihe der Fachgruppe für Geschichte der Technik beim Verein Deutscher Ingenieure. 1935. S. 30 ↩
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Ein interessantes Detail der Ausschreibung besagte, daß ein Festsetzen des Kranes an den Schienen nicht gestattet würde. Dies jedoch war an anderen Orten auch noch Jahre später gängige Praxis, wie Abbildungen zeigen. Dalmann kam es eben auf Geschwindigkeit an. ↩
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Es gibt zwei inhaltlich identische Veröffentlichungen. Zum einen: Johannes Dalmann: Der Hafen von Hamburg-Altona. Berlin 1868. Verlag Ernst & Korn. Zum zweiten in der Zeitschrift für Bauwesen 1868 S. 379 ff. ↩
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Zu der Londoner Firma Appleby Brothers siehe meinen Kran-Alpha. ↩
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Waltjen & Co aus Bremen, später besser bekannt als A.G. Weser oder in meinem Elternhaus als „Use Akschen“. ↩
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Das Foto findet sich bei Michael Batz: Hiev op! S. 101. Die Bildunterschrift lautet: Legendäre Maschinenschmiede: Vauxhall Iron Works der Ingenieure Brown und Wilson. Die Aufnahme zeigt den Prototyp des Krans, der in Hamburg am Sandtorkai eingesetzt wurde. ↩
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Bosselmann, a.a.O. S. 30 ↩
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Dieter Maas: Der Ausbau des Hamburger Hafens 1840 bis 1910. Hamburg 1990. Fußnote 137 S. 229 ↩
-
Dalmann, a.a.O. S. 380 ff. sowie S. 529 ff. ↩
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G. Gruson: Die Dampfkrähne auf der neuen Quaianlage in Hamburg. In: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 1868 S. 26 f. ↩
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„Cranes and Hoisting Machinery at the Vienna Exhibition No. I“, Engineering 3.10.1873 S. 267 ↩
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https://www.gracesguide.co.uk/Andrew_Betts_Brown hier insbesondere der Nachruf. Abgerufen 11.7.2022 ↩
-
https://en.wikipedia.org/wiki/Fairbairn_steam_crane. Abgerufen 12.7.2022 ↩
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Die Gartenlaube 1877 Band 25: Die Dampfkrane in den Lagerräumen der Hamburger Quais ↩
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Adolf Ernst: Die Hebezeuge. Theorie und Kritik ausgeführter Konstruktionen. Berlin 1883. Zu diesem Buch gibt es einen eigenen sog. Atlas mit 46 Tafeln. ↩
-
Handbuch der Ingenieurwissenschaften. Band 4. S. 94 ff. ↩
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Versmannkai, siehe Maass a.a.O. S.171 ↩
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Maass, a.a.O. S. 133 ↩
-
Harry Braun: Kräne im Hamburger Hafen. Erfurt 2014. S. 31 ↩
-
Deutsches Museum, München, Archiv VA 1592/2 ↩