Am Anfang dieses Modells stand ein Besuch in Paris. In einer Vitrine im Musée des Arts et Metiers fand ich die Inventar Nummer 7737. Sehr nüchtern heißt es dort: Maschine zum Heben von Material von Borde. Als Herkunft wird die Pariser Weltausstellung 1867 genannt. Zunächst war nicht mehr herauszufinden. Als ich dann erfuhr, daß “Borde” ein Eigenname war und der Herr mit Vornamen “Paul” hieß, kamen dann ein paar weitere Informationen hinzu 1.
Im Jahr 1856 wurde der Hafen von La Joliette in Marseille durch ein riesiges Grundstücksprojekt umgestaltet, das vom Finanzier Jules Mirès ins Leben gerufen wurde. Der Ingenieur und Bauunternehmer Paul Borde wurde beauftragt, dieses Projekt innerhalb eines sehr kurzen Zeitplans durchzuführen. Nur die Mechanisierung könnte eine schnelle und präzise Positionierung von Materialien ermöglichen und Gerüste einsparen. Um dies zu erreichen, erfand Borde einen dampfbetriebenen Kran auf Schienen, die parallel zur Fassade des im Bau befindlichen Gebäudes verlaufen. Durch Variieren des Winkels des Schwenkauslegers des Krans konnten Materialien überall auf der Konstruktion abgelegt werden. Zur Bedienung der Maschine waren nur zwei Männer erforderlich. Der Erfolg dieses Projekts brachte Borde weitere Großaufträge in Marseille und dann in Paris ein. Sein Hebeapparat wurde patentiert und nach und nach verbessert. Dieses maßstabsgetreue Modell, das das Konservatorium nach der Weltausstellung im Jahr 1867 kaufte, ist wahrscheinlich die endgültige Version dieser Maschine.
Hier fand sich dann auch der Maßstab des Modells: 1:20. Erst nach weiterer intensiver Recherche erfuhr ich, daß der Ausleger insgesamt 20 m maß und der Drehpunkt sich in einer Höhe von 18 m befand 2.
1867 hatten Borde’s Kräne wohl schon einige Entwicklungsschritte hinter sich. Das belegt eine zeitgenössische Abbildung aus einer Illustrierten, erschienen 1859 3. Der Text enthält zwar keine technischen Informationen, aber die folgende Passage möchte ich hier doch wiedergeben:
Es ist zum Beispiel wahrscheinlich, dass man bald auf den Kais unserer großen Seestädte sehen wird, wie Dampfmaschinen von Schiff zu Schiff und vom Hafen zu den Magazinen laufen, um die Ladungen anzulanden und einzulagern. Man rechnet, dass eine einzige dieser Maschinen an einem Tag mehr als 100 Tonnen Waren aus- und einladen könnte.
Der Hafen von Marseille mit seinen Docks wird heute anders genutzt, die Gebäude, die mit Hilfe von Borde’s Kran errichtet wurden, existieren aber noch, wie man auf diesem Bild der Marseiller Touristinformation gut sehen kann.
Stefan Holzer beschreibt in seinem höchst lesenswertem Buch 4, daß es zwar eine bemerkenswerte Folgekonstruktion zum Kran Borde’s gab, aber ein Einsatz in der Breite noch nicht stattfand. Er begründet das u.a. mit der problematischen Steuerung der Dampfmaschine, den hohen Brennstoffkosten sowie der Dauer des Anheizens. So richtig das zwar ist, so waren diese Faktoren bei vielen anderen Aufgaben offenkundig sekundär. Einen guten Eindruck vermitteln die Kataloge der Brüder Appleby 5. Ich vermute, daß Montage und Demontage dieser frühen Kräne so gefährlich und problematisch waren, daß dies ihren Einsatz behinderte. Nach dem stückweisen Aufbau des Krangerüstes mußte letztlich der Ausleger mit seinen 20 m mittig auf 18 m Höhe gebracht werden. Wenn dann die Achse durchgesteckt war, dürften die Beteiligten sich wohl erst einmal den (Angst)Schweiß abgewischt haben.
Zwar hatte ich im Museum eine Menge Fotos gemacht, letztlich war es aber doch so, daß ich mich ein Stück davon lösen mußte, um zu einem funktionsfähigen Modell zu kommen. Das Modell im Museum ist an einigen Stellen erkennbar unvollständig und an anderen recht wahrscheinlich zu einem deutlich späteren Zeitpunkt ergänzt worden. Nach sehr intensivem Studium meiner Fotos habe ich Zweifel, daß dieses Modell funktioniert hat - vermutlich war es eher ein Anschauungsmodell für potentielle Kunden.
Mein Modell ist ebenfalls im Maßstab 1:20. Es wird mit Druckluft betrieben und hat die gleichen Funktionen wie der Original-Kran. Man kann mit Hilfe der Einzylinder-Maschine die Last heben und senken sowie den Kran mit der Last auf Schienen entlang einer gedachten Gebäudefront verfahren. Die Maschine muß ggf. angedreht werden, die Drehrichtung wird mittels eines Schleppexzenters geändert. Für den Übergang von z.B. Heben auf Senken gibt es eine einfache Feststellbremse. Wie beim Original kann man die Neigung des Auslegers manuell verstellen.
Ich bin häufiger gefragt worden, ob denn der Kran nicht umkippen könne. Ja, das kann er - im Modell wie vermutlich auch im Original. In den erwähnten Appleby Katalogen findet man, daß kleine Kräne mit Klammern an den Schienen gesichert wurden 6. Ob das hier auch der Fall gewesen ist - wir werden es mehr als 150 Jahre später nicht mehr erfahren.
In meinem YouTube-Kanal gibt es ein Video des Modells. Dort wird als Last ein kleiner Ziegelstein bewegt. Sein Gewicht hätte im Original immerhin 1,3 t entsprochen!
Stand 30.05.2025
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Eck: Traité complet des constructions en poteries et en métal. Volume 1. 1868 ↩
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Le Magasin Pittoresque 1859 Jg. 27 S.8 ↩
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Stefan Holzer: Gerüste und Hilfskonstruktionen im historischen Baubetrieb. Berlin 2021 ↩
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Zu den Appleby Brothers habe ich im Zusammenhang mit meinem Lagerhaus-Kran schon einiges geschrieben. Ab 1863 wurden umfangreiche Kataloge + Preislisten veröffentlicht. ↩
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Appleby’s Illustrated Handbook of Machinery. Section II. Hoisting Machinery. 1877. Fig. 114 S. 22/23 ↩