1742: Der Engländer Benjamin Huntsman stellt erstmalig Tiegelstahl (Crucible Steel) her
Mit dem sog. »Zementstahl« war Sheffield zu dem Stahlzentrum Englands geworden. Selmeier schreibt 1:
Mit dem einfachen Blasenstahl produzierte man Federn für Wagen und Eisenbahnen, mit dem ‘Cutlery-Stahl’ billige und mit dem ‘Shear-Stahl’ hochwertige Feilen, Sägen, Scheren und Messer, mit dem doppelt raffinierten Material schließlich Rasiermesser, Taschenmesser und Werkzeuge mit scharfer Schneide.
Die deutsche Bezeichnung Blasenstahl (im Englischen blister steel) hat sich leider nicht durchgesetzt, obwohl das Material treffend beschrieben ist, hat es doch an der Oberfläche typische Blasen. Üblich ist nun die Bezeichnung Zementstahl - das wiederum ist aus heutiger Sicht irreführend, denn Zement wie wir ihn heute kennen, spielte hier keine Rolle. Den Prozess der Veredelung des Stabstahls bezeichnete man als Zementation oder auch Zementieren. Dabei wurde der Stabstahl zusammen mit Holzkohlepulver tagelang hoch erhitzt.
Der von Selmeier benutzte Begriff »Cutlery-Stahl« bedeutet zunächst einmal nur Messerstahl. Zu weiteren Eigenschaften habe ich nichts gefunden.
Shear-Stahl wurde gewonnen, indem mehrere Stäbe Zementstahl zusammen auf Rotglut gebracht wurden und dann durch Schmieden feuerverschweißt wurden. Das Material wurde durch etwas homogener und auch der Kohlenstoffgehalt stieg. Man erhielt also einen härteren Stahl.
Wenn der so gewonnene Stab geteilt und die beiden Hälften erneut feuerverschweißt wurde, erhielt man das von Selmeier angesprochene doppelt raffinierte Material.
Huntsman (1704-1776) war u.a. als Uhrmacher tätig und auf der Suche nach einem besseren Material für Uhrenfedern 2. Es gelang ihm, den Zementstahl in feuerfesten Tiegeln in einem koksbeheizten Ofen bei etwa 1500 °C zu verflüssigen. Koks war erst seit wenigen Jahren verfügbar (zwischen den Erfindungen lagen max. 7 Jahre) und für diesen Zweck wohl unabdingbar.
Die gewonnene Schmelze enthielt deutlich weniger Verunreinigungen als die vorher genannten Sorten und war homogener (gelegentlich traf man daher auch den Begriff Homogenstahl an). Silikat wurde reduziert, was zu einer größeren Härte führte. Dennoch war der Tiegelstahl zäh, er konnte damit zum Schmieden und Gießen genutzt werden. Dies drückt sich auch in der damals geläufigen Bezeichnung aus: Gußstahl oder Cast Steel. Lt. Beyer lag der Kohlenstoffgehalt abhängig vom Einsatzzweck zwischen 0,6 und 1,2 % 3.
Über Huntsman und seine Erfindung ist nur wenig gesichertes bekannt. Smiles schrieb 4:
Huntsman’s experiments extended over many years before the desired result was achieved. Long after his death, the memorials of the numerous failures through which he toilsomely worked his way to success, were brought to light in the shape of many hundredweights of steel, found buried in the earth in different places about his manufactory. From the number of these wrecks of early experiments, it is clear that he had worked continuously upon his grand idea of purifying the raw steel then in use, by melting it with fluxes at an intense heat in closed earthen crucibles. The buried masses were found in various stages of failure, arising from imperfect melting, breaking of crucibles, and bad fluxes; and had been hid away as so much spoiled steel of which nothing could be made. At last his perseverance was rewarded, and his invention perfected; and though a hundred years have passed since Huntsman’s discovery, the description of fuel (coke) which he first applied for the purpose of melting the steel, and the crucibles and furnaces which he used, are for the most part similar to those in use at the present day.
Huntsman’s Versuche dauerten viele Jahre, bis das gewünschte Ergebnis erreicht war. Lange nach seinem Tode fanden sich viele Zentner an Stahl an verschiedenen Stellen im Boden rund um seine Werkstatt und legten so ein Zeugnis ab von den vielen Versuchen, die er gemacht hatte, um mühselig zum Erfolg zu gelangen. Diese Überbleibsel der frühen Versuche zeigen, dass er kontinuierlich daran gearbeitet hat, indem er den Rohstahl versehen mit Zusatzstoffen in abgeschlossenen irdenen Tiegel großer Hitze aussetzte. Die vergrabenen Reste zeigten unterschiedliche Fehlschläge, ungenügende Schmelze, Bruch der Tiegel und schlechte Zusätze, allesamt nicht geeignet, um verwendet zu werden. Letztlich wurde seine Beharrlichkeit belohnt und er konnte seine Erfindung perfektionieren. Obwohl nun seitdem 100 Jahre vergangen sind, wird auch heute ähnlich vorgegangen, indem Koks, den er zuerst benutzt hat, verwandt wird und auch die Tiegel und Zusätze denen ähneln, die er benutzt hat.
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Die Einführung des neuen Materials muß trotz seiner Vorzüge nur recht langsam vonstatten gegangen sein, da insbesondere die Messerfabrikanten Sheffields den Tiegelstahl boykottierten. Huntsman gelang es jedoch, viele Abnehmer auf dem europäischen Kontinent zu finden.
Lt. Ashton zählte ab 1793 Matthew Boulton zu den größeren Kunden Huntsman’s 5.
Tiegelstahl, der später auch auf dem Kontinent (Krupp als ein prominentes Beispiel) hergestellt wurde, wurde aufgrund seines hohen Preises (5-7 fach vergl. mit Puddeleisen 6) nur bei hochbelasteten Werkstücken eingesetzt.
Stand: 21.8.2018