1872: Im Deutschen Reich wird das metrische System gesetzlich eingeführt
In der unmittelbaren Folge des für Preussen siegreich verlaufenen Deutsch-Französischen Krieges wurde im Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Reich proklamiert.
Am 1. 1. 1872 trat im Deutschen Reich ein Gesetz in Kraft, welches das metrische System einführte. 1868 hatte das schon der Norddeutsche Bund getan, 1869 war u.a. Bayern gefolgt. Damit hatte der junge erste deutsche Nationalstaat ein von vielen als »modern« betrachtetes Maßsystem.
Als »deutsches Urmeter« wurde eine Kopie des französischen »metre des archives« benutzt, die Preussen 1817 durch Vermittlung Alexander von Humboldts gekauft hatte. Dieses bestand aus Platin und hatte einen Querschnitt von 25,8 x 5,65 mm. Bei einer Vergleichsmessung fand man 1863, dass diese Kopie 0,00301 mm länger war als das Original 1. Berndt schreibt ferner:
Die deutsche Einheit [gemeint ist das Urmeter] wurde definiert als die Entfernung der Mitten seiner ebenen und senkrecht zur Achse stehenden Endflächen bei 0° [Celsius]; diese Bestimmung blieb bis 1884 in Kraft 2.
Das Gesetz bezeichnete in gewisser Weise den Endpunkt einer längeren Entwicklung. Maße hatte es in den vielen deutschen Königreichen und Fürstentümern in heute erschreckender Vielfalt gegeben. Berndt gibt an, dass zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Baden 112 verschiedene Ellen in Gebrauch waren. 1869 gab es in Deutschland 3:
- ca. 40 Fußmaße von 250 bis 316 mm
- ca. 40 Ellen von 547,3 bis 833 mm
- mehr als 40 Klafter von 1897 bis 5327 mm
- mehr als 40 Meilen von 7363 bis 9870 m
Über den Einführungsprozeß im technischen Bereich habe ich bislang nicht allzuviel gefunden. Natürlich gibt es anekdotisches, so wenn z.B. ein Mitarbeiter Alfred Trappens schreibt 4:
Er nahm den Zollstock in die Linke (an das Rechnen mit Millimetern konnte er sich schwer gewöhnen, so daß wir in englischen oder rheinischen Zöllen gut Bescheid wissen mußten) und tastete mit dem Daumennagel der Rechten denselben entlang, die Stecke sorgsam mit den Augen abwägend und korrigierend, und gab in kurzer Zeit die Dimensionen der auszuführenden Wellen und Zapfen an, deren genaue auf Torsion und Biegung bewerkstelligte Durchrechnung fast stets die Richtigkeit seiner Methode bewies.
Trappen, 1828 geboren, war über Jahrzehnte technischer Leiter und Hauptkonstrukteur der Maschinenfabrik Kamp & Co., einem Vorläufer der Demag.
In einer Versammlung des VDI Verein Deutscher Ingenieure 1873 war auch die »Bezeichnung der metrischen Masse« ein Thema. Es wurden mehrere »leitende Grundsätze« aufgestellt 5. Einer davon lautete:
Verständlichkeit auch für den gemeinen Arbeiter, also Vermeidung des Decimalkommas.
Stand: 18.11.2016
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Passend zum verfügbaren Vergleichsmeter (die Fachleute sprechen von der Maßverkörperung oder dem Etalon) hatte man hier ein Endmaß beschrieben. Ganz schlicht ausgedrückt: Dieser Maßstab war genau 1 m lang. Die späteren Etalons waren allesamt Strichmaße, d.h. der Maßstab war 1,02 m lang und trug im Abstand von 1m zwei Striche. Diese Striche wurden mit sog. Okular-Schraubenmikrometern anvisiert und im Transversal-Komparator vergleichend vermessen [vergl. 1889: Ein weiteres Urmeter wird hergestellt]. ↩
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a.a.O. S.8 ↩
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K. Mayer, zitiert bei Matschoss, 1919, S. 129 ↩
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Sitzungsprotokoll VDI Versammlung 18. 2. 1873 Abgerufen 18.11.2016 ↩