1876: Otto’s neuer Motor - der erste Viertaktmotor der Welt
Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs des Flugkolbenmotors [vergl. 1867: Auf der Pariser Weltausstellung wird der atmosphärische Flugkolbenmotor der Firma Otto & Langen gezeigt] fühlte sich Otto insbesondere durch Gottlieb Daimler bedrängt. Eugen Langen gelang es schließlich, eine sog. Versuchsanstalt zu installieren, in der Otto ungestört arbeiten konnte. Otto knüpfte dort an seine allerersten, seinerzeit gescheiterten Versuche an, siehe dazu Bild @fig:1876-1 1. Nachdem es ihm gelang, den Ablauf der Verbrennung so zu verändern, dass der vorher explosionsartige Verlauf gemildert wurde, war der Weg frei für Otto’s neuen Motor 2.
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Auf Basis des Versuchsmotors konstruierte Wilhelm Maybach dann den Motor, der schließlich 1876 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Unter der Bezeichnung »Otto’s neuer Motor« warb man für den ersten Viertaktmotor der Welt 3.
1876: Das Bureau international des Poids et Mesures beginnt am 1. Januar 1876 seine Arbeit in Sevres bei Paris
Der Deutsch-Französische Krieg hatte es deutlich gemacht: Frankreich hatte nicht nur historisch eine große Bedeutung für das metrische System, sondern auch in einem sehr handfesten Sinn: Das Urmeter lag in Frankreich. Natürlich versuchte Frankreich, seine herausgehobene Stellung zu verteidigen und lud im Februar 1875 Diplomaten und Wissenschaftler zu einer internationalen Konferenz ein.
Am 20. Mai 1875 gelang es tatsächlich, einen Vertrag abzuschliessen: die internationale Meterkonvention. In dieser vereinbarten siebzehn Unterzeichner-Staaten »vom Wunsche geleitet, die internationale Einigung und die Vervollkommnung des metrischen Systems zu sichern« die Errichtung und Finanzierung einiger Institutionen:
- CGPM Conférence générale des poids et mesures (Generalkonferenz für Maß und Gewicht). Die Unterzeichner-Staaten treffen sich in mehrjährigen Rhythmus.
- CIPM Comité international des poids et mesures (Internationales Komitee für Maß und Gewicht). Verwaltungsrat, trifft sich jährlich.
- BIPM Bureau international des poids et mesures (Internationales Büro für Maß und Gewicht). Internationales Zentrum für Maßeinheiten in Sèvres bei Paris
Diese existieren bis heute 4 5 6.
Scheel schreibt 7:
Die erste Aufgabe des internationalen Bureaus bestand in der genauen Kopierung der Urmaße, des »metre« und des »kilogramme des Archives«, welche sich für das Meter noch insofern schwierig gestaltete, als das metre des Archives ein Endmaß war, welches mit dem internationalen Strichmeter in Beziehung gesetzt werden mußte.
Die Techniker und Wissenschaftler des BIPM hatten keine leichte Aufgabe. Durch die stark gestiegenen Anforderungen an die Genauigkeit mußte ein bis dahin unbekannter Aufwand getrieben werden.
Dazu Berndt 8:
Da es sich um Messungen allergrößter Genauigkeit handelt und jeder Körper seine Länge mit der Temperatur ändert (bei Stahl für 1 m Länge und 10 °C um 0,115 mm), so mußte vor allem dafür gesorgt werden, daß die Temperatur in dem Meßraum nach Möglichkeit konstant ist und die örtlichen und zeitlichen Schwankungen auf ein Mindestmaß heruntergedrückt werden, zumal die einzelnen Geräte diesen Schwankungen mit verschiedener Geschwindigkeit folgen. Dadurch verbot sich die Aufstellung von Heizkörpern, ferner durften die Wände nicht durch die Schwankungen der Außentemperatur und vor allem nicht durch die Sonnenstrahlen getroffen werden. Deshalb wurde der Meßraum in die Mitte des Gebäudes gelegt und rings von Fluren umgeben. In ähnlicher Weise mußte auch der Fußboden isoliert sein, doch genügte hier ein etwa 1 m hoher Raum darunter; entsprechend wurde auch die Decke ausgebildet.
1889 wurde dann ein neues Urmeter mit ca. 30 Kopien erstellt, vergl. [1889: Ein weiteres Urmeter wird hergestellt].
Die Einrichtungen des BIPM wurden zum Muster für die Staaten, die die Meterkonvention nicht nur unterzeichnet hatten, sondern auch tatsächlich das metrische System einführten 9. In Deutschland war das die Physikalisch-Technische Reichsanstalt, in der Schweiz das Eidgenössische Institut für Metrologie 10.
1876: Eine Corliss-Balanciermaschine wird zur Ikone der ersten amerikanischen Weltausstellung
Die Weltausstellung in Philadelphia war die erste Weltausstellung auf amerikanischem Boden. Der offizielle Titel war »Centennial International Exhibition of Arts, Manufactures and Products of the Soil and Mines«. Damit sollte das 100. Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten gefeiert werden, womit auch Ort und Zeit festgelegt waren.
Zu dem Symbol der Ausstellung wurde eine große Balanciermaschine, siehe Bild @fig:1876-2 11.
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Schon die Inbetriebsetzung der Maschine geriet zum Spektakel: Der amerikanische Präsident Ulysses S. Grant und der brasilianische Kaiser Pedro II schalteten sie ein - folgt man Matschoss, mit einem elektrischen Schalter 12. Gebaut von der Maschinenfabrik von George Corliss, dürfte die Maschine kaum Neuerungen geboten haben - aber sie war durch die pure Größe ein äusserst imposanter Anblick. Für die Dauer der Ausstellung diente sie als zentrale Antriebsmaschine.
Die »Corliss Centennial Steam Engine«, wie sie auch gern genannt wurde, bestand aus zwei einzelnen Balanciermaschinen, die mit einer gemeinsamen Kurbelwelle auf ein Schwungrad arbeiteten. Als Nennleistung wurden 1.400 PS angegeben, als Spitzenleistung 2.500 PS. Mit einer Zylinderbohrung von ca. 1 m und einem Hub von ca. 3 m lief sie normal mit 36 U/min. Kolbengeschwindigkeit war damit 3,6 m/sec - ein erheblicher Wert 13. Abmessungen und Gewichte waren gewaltig. Um nur einige wenige zu nennen: Länge der Balanciere über 8 m, Gewicht ca. 10 t, Schwungraddurchmesser über 9 m, Gewicht ca. 50 t. Das Schwungrad trug einen Zahnkranz mit 216 Zähnen. Im Untergeschoß, den Blicken des Publikums verborgen, erfolgte dann über weitere Zahnräder die Kraftübertragung zu den Verbrauchern. Die Kolbenstange war an einen Kreuzkopf angekoppelt, der über Gleitbahnen geführt wurde. Diese Bauteile nahmen ausserdem senkrechte Schraubenspindeln auf, mit denen bei Wartung der oberer Zylinderdeckel hochgeschraubt werden konnte, z.B. um Zugang zum Kolben zu erhalten. Der A-Ständer war so weit auseinander gezogen, dass ein Fuß in der Schwungradachse und der andere in der Achse des Zylinders lag. Es hieß dann:
The connecting rods, which are about 24 ft long, are of horse-shoe scrap iron, 9600 horse-shoes having been used in making them.
Die Pleuelstangen, welche etwa 7,3 m lang sind, bestehen aus Hufeisen-Schrott. Man benötigte etwa 9600 Hufeisen dafür.
Das Schwungrad arbeitete auf ein Stirnrad mit 3 m Durchmesser, welches so wie die Balanciere in einem Stück gegossen wurde. Die Hauptwelle drehte mit 108 U/minvon. Ca. 76 m lang verlief sie unter dem Gebäude . An 4 Stellen erfolgte über Kegelräder die Verteilung in die Fläche. Letztlich wurden so 8 Riemenscheiben mit 2,40 m Durchmesser und 0,8 m Breite angetrieben. Von dort liefen Riemen in gläsernen Kästen und trieben jeweils Transmissionswellen von gut 190 m Länge an. Das Gesamtgewicht der Maschine wurde mit ca. 550 t angegeben.
Die Dampfversorgung erfolgte mit 20 »senkrechten Corliss-Kesseln«, als zulässiger Betriebsdruck wurden 5,5 bar angegeben.
Nach meiner Einschätzung war die Maschine ganz darauf ausgelegt, dem Besucher zu imponieren. Dafür spricht die zentrale Position in der »Machine Hall«, die Wahl von langsamlaufenden Balanciermaschinen und die isolierte, von den anderen Exponaten deutlich abgesetzte und leicht erhöhte Aufstellung. Es gibt viele Berichte, nach denen die Besucher in der Tat tief beeindruckt waren.
In Deutschland spielte zumindest in der breiten Öffentlichkeit ein ganz anderer Aspekt der Weltausstellung eine große Rolle. Es war dies eine Feststellung des deutschen Maschinenbauprofessors Franz Reuleaux, der in seinem ersten »Brief aus Philadelphia» über die Aufnahme der deutschen Exponate wie folgt urteilte 14:
Als Quintessenz aller Angriffe tritt der Wahrspruch auf: Deutschlands Industrie hat das Grundprinzip »billig und schlecht«.
Wohl nur selten hat ein Ingenieur mit einem kurzen Text für einen Zeitungsbeitrag solch heftige und polemische Diskussionen ausgelöst wie Reuleaux (1829-1905). Als Hochschullehrer und Direktor der Königlichen Gewerbeakademie in Berlin, einem Vorläufer der heutigen Technischen Universität Berlin, war er 1876 in Philadelphia Preisrichter. Seine Worte führten zu einer intensiven Diskussion. Man warf ihm vor, »das Vaterland zu verraten«. Laut Bähr stand Reuleaux aber nicht allein dar. Werner Siemens (1888 nobilitiert, ab dann von Siemens) hatte in einer Eingabe an Reichskanzler Bismarck sehr ähnlich formuliert 15.
Stand 29.10.2018
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Im Technikum Deutz heisst es wörtlich zu dieser Skizze: »Bereits 1862 konstruiert N. A. Otto einen ersten Viertakt-Versuchsmotor. Diese Skizze des Kölner Mechanikers Michael Zons aus dem Jahr 1885 ist die einzig erhalten gebliebene Darstellung der noch nicht betriebssicheren Maschine. Technikum Deutz ↩
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Technikum Deutz, a.a.O. Plakat ↩
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Die USA haben die Meterkonvention 1878 unterzeichnet. ↩
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1915 berichtete die Schweizer Bauzeitung ausführlich über die »Instrumentellen Einrichtungen im Neubau des Schweiz. Amtes für Mass und Gewicht in Bern« Abgerufen 18.11.2016 ↩
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Auf ein qualitativ besonders gutes Bild darf ich hier nur verweisen: Free Library of Philadelphia Corliss steam engine Centennial Exhibition ↩
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Matschoss spricht von einem »harmlosen Vergnügen«: Der Schalter betätigte ein Signal für die Maschinisten, die im »Untergrund«, den Blicken des Publikums entzogen, dann die Maschine in Bewegung setzten. Matschoss, 1901, S. 222 ↩
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Engineering, 19.5.1876, S. 413 ↩