1886: Héroult und Hall finden den Prozess zur industriellen Herstellung von Aluminium
Das chemische Element Aluminium konnte über Jahrzehnte nur in aufwendigen chemischen Verfahren gewonnen werden. Zeitweilig wurde es zu einer Mode, Schmuck aus Aluminium zu tragen - das Metall war teurer als Gold.
Der elektrochemische Prozess, mit dem im Grunde auch heute noch Aluminium hergestellt wird, wurde dann 1886 mit nur geringem zeitlichen Abstand zweifach entwickelt: Zum einen von dem Franzosen Paul Héroult und zum anderen von dem Amerikaner Charles Martin Hall. Ihnen zu Ehren spricht man heute vom Hall-Héroult-Prozess. Das Ausgangsmaterial Aluminiumoxid wird dabei mit Kryolith vermischt. Dieses Gemisch hat einen Schmelzpunkt unter 1000 °C. Dazu wird eine sehr niedrige elektische Spannung mit sehr hohem Strom angelegt. So wird eine Schmelze erzeugt, in der flüssiges Aluminium entsteht.
Beide Erfinder hatten es sich zum Ziel gesetzt, Aluminium preisgünstiger zu gewinnen als es bis dahin möglich war. Unweigerlich kam es zu Patentstreitigkeiten, die allerdings 1903 durch eine Vereinbarung (letztlich eine Marktteilung) beigelegt wurden.
Letztlich eher zufällig kam Héroult in Kontakt mit einflußreichen Schweizer Industriellen (Oerlikon, Escher Wyss und Neher). Diese erkannten das Potential Héroult’s Erfindung. Auch wurde schnell klar, daß der hohe Strombedarf an einer Stelle der Schweiz ideal zu decken war: am Rheinfall von Schaffhausen. Schon 1888, also nur zwei Jahre nach den ersten Erfolgen im Labormaßstab, wurde eine Firma zur Produktion von Aluminium im industriellen Maßstab gegründet, der Vorläufer der heutigen Alusuisse (ich folge 1).
Bei der Umsetzung der neuen Technik beobachtete man immer wieder Lichtbogen zwischen der Oberfläche der Schmelze und den Elektroden. Dadurch angeregt, wurde ein Lichtbogenofen entwickelt, der zum Vorläufer des heutigen Elektro-Stahlofens wurde.
Hall begann seine Experimente in einem Holzschuppen hinter dem elterlichen Haus. Auch er fand schnell finanzstarke Geldgeber. Seit 1895 produzierte man in der Nähe der Niagarafälle, um den enormen Strombedarf günstig decken zu können. Es entstand eine Firma, die seit 1907 »Aluminum Company of America« kurz ALCOA heißt und lange Zeit Weltmarktführer war. Die Schreibweise »Aluminum« ist in Amerika gängig, ohne dass es dafür eine wirklich stichhaltige Erklärung zu geben scheint. Jedenfalls heißt das Element Aluminium auch im britischen Englisch Aluminium.
Die Quellen legen nahe, dass zumindest in Amerika großindustriell hergestelltes Aluminium zunächst nur wenig nachgefragt wurde. Um das Publikum mit dem neuen Material vertraut zu machen, produzierte Hall z.B. Teekannen aus Aluminium. Heutige Aluminiumknetlegierungen, bei denen die Festigkeit u.U. deutlich über der von Reinaluminium liegt, sind erst im 20. Jahrhundert entwickelt worden.
1886: Die Brüder Mannesmann erhalten ein Patent für ein Schrägwalzverfahren zur Herstellung nahtloser Stahlrohre
Horst A. Wessel hat in »Die Techniker der Familie Mannesmann« eine gute Beschreibung des Verfahrens veröffentlicht. Er schreibt 2:
Das Schrägwalzwerk hat zwei waagerecht nebeneinander liegende, um sechs bis acht Grad gegeneinander geneigte Arbeitswalzen, deren Drehrichtung gleich ist und die eine Kalibrierung besitzen. Bei parallel ausgerichteten Arbeitswalzen würde der in der Mitte liegende massive Stahlblock nur gerollt; durch die Schrägstellung entsteht jedoch eine zusätzliche Vorwärtsbewegung, und der zuvor auf eine Temperatur von 1200-1300 Grad Celsius erhitzte Block wird in den Walzspalt hineingezogen und unter ständigem Drehen langsam durch das Walzgerüst hindurchgeschraubt. Der freie Raum zwischen den Arbeitsflächen der Walzen wird durch Führungslineale geschlossen, die eine Aufweitung im Walzspalt verhindern und das Walzgut zum Schluß in axiale Richtung zwingen. Das Profil der Walzen verjüngt sich allmählich und drückt den Block leicht oval. Walzkräfte, Reibungskräfte und Vorschubkräfte wirken gleichzeitig auf das Walzgut ein. Durch den dauernden Wechsel von Zug und Druck, diesen Vorgang bezeichnen die Techniker als »Friemeln«, wird der Blockkern aufgemürbt und schließlich lochartig aufgerissen. Tatsächlich entsteht allein durch das Schrägwalzen, das heißt ohne die Mitarbeit des Dorns, ein unregelmäßig geformtes Loch im massiven Stahlblock.
Im auslaufenden, konisch weiter werdenden Kaliberteil, im sogenannten Querwalzteil, ist von der Gegenseite ein über ein Widerlager abgestützter Dorn zwischen die Walzen gesteckt, der das entstehende Rohr von innen aufweitet und die Innenwand glättet sowie gleichzeitig das Rohr streckt. Im Auslauf sind die Walzen zylindrisch, damit der Hohlkörper oder die Luppe geglättet wird. Nach heutigen Erkenntnissen wird das Zusammenspiel von Friemelwirkung und Dornarbeit durch Form und Positionierung des Lochdorns so optimiert, daß es vor der Dornspitze gar nicht erst zur Hohlraumbildung kommt.
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Die Brüder Reinhard und Max hatten die Lösung für ein Problem gefunden, mit dem sich schon ihr Vater befaßt hatte - Rohre aus Stahl ohne Naht herzustellen. Lt. Wessel, dessen Darstellung ich hier folge, waren die Brüder seit 1882 überzeugt, mit schrägen Walzen und einem Dorn das gewünschte Ergebnis erreichen zu können. Erst ein halbes Jahr nach der Patenterhaltung 1886 gelang es im Probebetrieb einen einwandfreien Hohlkörper zu erzeugen, siehe Bild @fig:1886-1.
Die Umsetzung in die betriebliche Praxis brachte jedoch neue Schwierigkeiten. Zwar war es gelungen, mit Werner und Friedrich Siemens sowie Eugen Langen kapitalkräftige Geldgeber zu finden, die große Summen investierten, jedoch zeigte es sich, daß das ursprüngliche Ziel, auf der Schrägwalze Rohre mit den gewünschten Wanddicken und Längen fertig zu walzen, nicht zu erreichen war.
Max Mannesmann hatte dann 1889 die Idee, den auf der Schrägwalze erzeugten dickwandigen Zylinder abschnittsweise auszustrecken.
Ich zitiere erneut Wessel:
In der ersten Stufe der Entwicklung des neuen Walzverfahrens drehten sich die Walzen in der Zuführungsrichtung des Hohlblockes. Beim Anfang des Arbeitshubes befand sich der dünne, bereits ausgewalzte Rohrteil im ersten Walzenangriff. Der Werkstoff wurde wie bei einem gewöhnlichen Rundeisenwalzwerk in die Walze hineingezogen. Am Ende des Arbeitshubes stand das dicke Hohlblockende mit dem Walzkaliber in Berührung. Jetzt setzte die Aussparung ein und gab das Rohr beim Weiterdrehen der Walzen für eine kurze Zeit frei. In dieser Zeit ohne Berührung mit den Walzen wurde der Hohlblock unter Drehung um 90 Grad in die Ausgangslage für den folgenden Walzschritt zurückgezogen. Der Walzvorgang konnte neu begin nen. Dieser Bewegung, vor, zurück und wieder weiter vor, verdankt das Verfahren auch durch Vergleich mit der Echternacher Springprozession seine Bezeichnung »Pilgerwalzen«. Professor Reuleaux prägte diese Bezeichnung, die dann in den technischen Wortschatz eingegangen ist und sich bis heute erhalten hat. Schrägwalz- und Pilgerschritt—Verfahren bildeten fortan das »Mannesmann-Verfahren«, das auch heute, mehr als 100 Jahre danach, weltweit immer noch angewandt wird.
Die Brüder zogen sich 1893 aus dem Vorstand »ihres« Unternehmens zurück und verkauften einige Jahre später auch ihre Anteile. Beide waren in verschiedensten Unternehmungen aktiv, Max mit etlichen Erfindungen und einer Vielzahl von Patenten, teils skurril (er lies sich einen Zehenschuh patentieren - analog zum Handschuh), teils in die Zukunft weisend (Strangpreßverfahren).
Stand 27.8.2016