1799: Die erste Watt’sche Dampfmaschine Westdeutschlands wird auf der Saline Unna-Königsborn in Betrieb genommen
Die Maschine wurde zwischen 1797 und 1799 unter der Leitung von Oberbergrat Bückling [vergl. 1785: Die erste deutsche Dampfmaschine in Hettstedt] als Antriebsmaschine für die Solepumpen der Saline Unna-Königsborn erbaut und am 30. August 1799 in Betrieb genommen. Sie gehört zu den ältesten Dampfmaschinen Westdeutschlands und war von 1799 bis 1932 auf der Saline in Betrieb 1.
Bei einem 1867/1868 vorgenommenen Umbau wurden u.a. die aus Holz bestehenden Steuerungsteile durch eiserne ersetzt, siehe Bild @fig:1799-1.
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Am 7. Juni 1932 setzte man die Dampfmaschine außer Betrieb, 1953 wurde sie im Deutschen Bergbau-Museum in Teilen wiederaufgebaut und 1985 an ihren jetzigen Standort im Museum übertragen. Der Balancier ist eine Ergänzung in Angleichung an die originale Gestalt.
Die Maschinendaten werden wie folgt angegeben:
- Zylinderdurchmesser 1050 mm
- Zylinderlänge 3080 mm
- Kolbenhub 1750 mm
- Dampfdruck 1-1,5 bar
- Leistung ca. 15 kW
- Kohlenverbrauch 1-1,5 t/Tag
- Dampfverbrauch 450 kg/Stunde
- Leistung der 5 Plungerpumpen bei 4 Hüben pro Minute 1,65 m**3 Sole
Im Bereich des heutigen Königsborn hatte man schon seit dem Mittelalter Salz aus Sole gewonnen. Seit 1734 betrieb der preussische Staat die Saline.
1799: William Murdock erhält ein Patent u.a. auf das »long “D” slide valve«
William Murdock (1754-1839) (evtl. auch Murdoch) erhielt 1799 das britische Patent Nr. 2340 für verschiedene Verbesserungen an Dampfmaschinen, darunter auch das sog. »long D slide valve« (langer D-Schieber), siehe Bild @fig:1799-2. Damit wird auch das “D” verständlich: Es bezeichnet den Querschnitt des Schiebers.
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Boulton & Watt hatten sich zu diesem Zeitpunkt entschieden, kleinere Maschinen anzubieten, die billiger und leichter aufzustellen sein sollten als die bis dahin ausschließlich gebauten Balancier-Maschinen 2. Es tauchten Begriffe wie »self contained« (soviel wie: in sich ruhend) oder sogar »portable« (beweglich) auf. Für diesen neuen Maschinentyp nutzte man dann Murdock’s D-Schieber.
Farey zeigt eine solche neue Maschine vom Type »Bell Crank«, siehe Bild @fig:1799-3. Er gibt an, dass dieser Typ mit 4 hp ab 1802 gebaut worden ist 3.
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Folgt man Hills, so war der Schieber problematisch. Das Bauteil war schwer und nur schlecht dicht zu bekommen. Der Frischdampf heizte den Abdampf beim Durchgang durch den Schieber auf und verlor so Energie 4.
Nach Murdock, der ein langjähriger, enger und sehr geschätzter Mitarbeiter von Boulton und Watt war, nutzte auch Matthew Murray (1765-1826) spätestens ab 1805 einen D-Schieber. Dieser sah etwas anders aus 5. Ob damit Murdock’s Patent umgangen werden sollte, ist mir unklar 6. Murray fertigte die ebene Fläche mit einer eigens dafür gebauten Hobelmaschine [siehe 1817: Richard Roberts baut eine Hobelmaschine für Metall]. Letztlich war es dann Murray’s Bauform, auch als »short slide valve« bekannt, die zum Prototypen für alle Schieber wurde.
1799: Faßkessel und Kofferkessel
Bei den frühen Dampfkesseln ist eine zeitliche Zuordnung nicht möglich. Wenn ich das Jahr 1799 gewählt habe, um in dieser Synopsis über die frühen Kesselformen zu schreiben, dann nur deswegen, weil sicher ist, dass zu diesem Zeitpunkt sowohl der Faßkessel (ich benutze diesen Ausdruck Matschoss’ für den typischen Kessel der Newcomen-Maschine) als auch der Kofferkessel ausgeführt waren und noch etliche Jahre nebeneinander gebaut wurden.
Nach meiner Einschätzung wird der Kessel in der Literatur zur Dampfmaschine nicht adäquat behandelt - sei es wegen mangelnder Quellen, sei es, weil die Maschine und ihre Entwicklung den Autoren interessanter erschien.
Auch Dickinson und Jenkins machen keine Ausnahme. Zwar gibt es ein eigenes Kapitel »Boilers«, aber dieses umfasst ganze neun Seiten. Gleich im ersten Satz heisst es 7:
ALTHOUGH, as will be seen later, Watt did concern himself with firing and the proper combustion of the fuel, he never gave much consideration to the form of the boiler itself.
Obwohl Watt, wie noch zu zeigen sein wird, sich mit der Feuerung und der Verbrennung des Heizmaterials befasste, stellte er kaum weitere Überlegungen zur Kesselform als solcher an.
Bauformen
Das Bild @fig:1799-4 zeigt ein Modell eines Faßkessels, im Englischen Haystack (Heuschober) oder auch Beehive Boiler (Bienenkorb) genannt. Auch der Ausdruck Balloon Boiler (Ballon) findet sich.
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Anders als bei den frühen Ausführungen der Newcomen-Maschine, siehe [1712: Thomas Newcomen baut die erste industriell eingesetzte Dampfmaschine], bei denen ja der Dampfzylinder direkt auf den Kessel aufgesetzt war, zeigt dieses Modell eine deutlich weiterentwickelte Form, bei der der Kessel von der Maschine abgesetzt ist und auch schon erste »Regeleinrichtungen« besitzt.
Das Bild @fig:1799-5 zeigt einen Kofferkessel, im Englischen als Wagon Boiler bekannt. Diese Bauform wird oft Watt zugeschrieben. In jedem Fall setzte er sie ab spätestens 1778 ein.
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Man beachte, dass die Böden in beiden Fällen konkav sind, ebenso die Seitenwände. Dies erhöht zum einen die Festigkeit, zum anderen werden die Rauchgase besser geführt. Nur die Stirnwände des Kofferkessels bleiben eben.
Dampfdrücke
In den schriftlichen Anweisungen, die Boulton & Watt herausgaben, findet sich unter »Directions for Working the Engine« u.a. folgendes 8:
The steam gauge is a similar instrument, in which the steam presses up a column of mercury proportioned to its elasticity. When an engine is underloaded it ought to be wrought with steam able to support one inch of mercury, and when full loaded it ought not to exceed two inches
Das Dampf-Manometer ist ein ähnliches Instrument, in dem der Dampf entsprechend seinem Druck eine Quecksilbersäule hochdrückt. Wenn eine Maschine wenig belastet ist, sollte der Dampf das Quecksilber 25 mm hochdrücken, unter Vollast jedoch nicht mehr als 50 mm.
25 Millimeter-Quecksilbersäule oder 25mmHg, wie man früher sagen durfte (heute nur noch beim Blutdruck und beim Druck anderer Körperflüssigkeiten zulässig) entspricht einem Überdruck von 0,0333 bar, 50 mmHg 0,0666 bar (kleine temperaturabhängige Abweichungen lasse ich unberücksichtigt). Zum verwendeten Quecksilber-Manometer siehe weiter unten.
Es läßt sich also festhalten, dass diese Kessel einen »Dampfdruck« von höchstens 0,1 bar lieferten.
In den »Directions« wird dann noch einmal ausdrücklich gewarnt:
It is never adviseable to work with a strong steam where it can be avoided, as it increases the leakages of the boiler and joints of the steam case, and answers no good end.
Es ist nie ratsam mit starkem Dampf zu arbeiten, wenn sich dies vermeiden läßt, weil dadurch die Leckagen des Kessels und aller Verbindungen vermehrt werden, und dies nicht gut enden wird.
Kesselbleche
Dickinson legte dar, dass Boulton & Watt eigentlich Kupfer als Werkstoff für die Kesselbleche bevorzugten. Kupfer ließ sich gut bearbeiten, Kupferbleche und -tafeln waren verfügbar, Kupferschmiede hatten große Erfahrungen mit dem Material (Braukessel und Brennapparate) und es waren auch schon Behälter in beachtlicher Größe gefertigt worden.
Zwar kostete ein Kupferkessel ungefähr das Doppelte eines Eisenkessels, aber man rechnete auch mit der doppelten Lebensdauer. Nachteilig war jedoch, das Kupferkessel wöchentlich gereinigt werden mussten. Die entstehenden Ablagerungen erwiesen sich bei Kupfer schädlicher als bei Eisen 9.
Eiserne Kesselbleche hingegen waren zunächst recht klein. Dickinson sprach von zwei Abmessungen: 90 x 53 cm mit einer Dicke von gut 3 mm (36in x 21in 1/8in) sowie 66 x 53 cm bei einer Dicke von gut 6 mm (26in x 21in 1/4in). Diese Bleche mussten alle unter dem Hammer ausgeschmiedet werden. Man bevorzugte »russia slabs«, also russisches Material. Offensichtlich gab es immer wieder Probleme. Boulton schrieb 1786:
… they will not bend even hot, they being made from his own bad iron.
… diese lassen sich nicht einmal warm biegen, sind sie doch aus seinem eigenen schlechten Eisen hergestellt.
John Rennie zur gleichen Lieferung:
… they are pretty well hammered, but wretched iron of his own making, indeed it is not better than cast iron
… sie sind gut gehämmert, aber es ist mieses Eisen aus eigener Herstellung, es ist wirklich nicht besser als Gusseisen.
Einige Jahre später scheint man versucht zu haben, gewalzte Bleche zu verwenden. Allerdings waren die ersten Versuche mit der neuen Technik noch nicht zufriedenstellend. Ein Kunde schrieb 1795 an Boulton & Watt:
Having had an opportunity of a conversation with the man, a pan-smith who attends the engine at Lawton and was the maker of the boiler now in use there, he seems perfectly satisfyed that Rolled Plates will not answer for the boiler, therefore shall be obliged to you for drawings and directions to make one here of hammered plates
Bei einem Gespräch mit dem Schmied, der sich um die Maschine in Lawton kümmert und den dortigen Kessel gemacht hat, zeigte sich dieser völlig davon überzeugt, dass gewalztes Blech für einen Kessel ungeeignet ist, daher erwarten wir, dass Sie Zeichnungen und Anweisungen für einen Kessel aus gehämmerten Blechen erstellen.
Verbindungen
Der Zusammenbau des Kessels geschah im 18. Jahrhundert sicherlich direkt am Aufstellungsplatz durch örtliche Schmiede. In den »Directions« heißt es:
In making the boiler you should use rivets between 5/8ths and 3/4ths inch diameter. In the bottom and sides the heads of the rivets should be large and placed next the fire, or on the outside, and in the boiler top the heads should be on the inside. The Rivets should be placed at two inches distant from the centre of one rivet to the centre of the other, and their centres should be about one inch distant from the edge of the plate. The edges of the plate should be evenly cut to a line, both outside and inside. It is impossible to make a boiler top truly tight which is done otherwise. After the boiler is all put together, the edges of the plates should be thickened up, and made close by a blunt chissel about 1/4 inch thick in the edge impelled by a hammer of three or more pounds weight, one man holding and moving the chissel gradually, while another strikes. All the joints above water should be wetted with a solution of sal- armoniac in water, or rather, in urine, which by rusting them, will help to make them steam tight. After the boiler is set, it may be dryed by a small fire, under it, and every joint and rivet above water painted over with thin putty, made with whiting and linseed oil, applied with a brush. A gentle fire must be continued until the putty becomes quite hard so as scarcely to be capable of being scratched off by the thumb nail, but care must be taken not to burn the putty, nor to leave off fire until it become dry.
Beim Bau des Kessels sind Nieten zwischen 16mm und 19mm Dicke zu verwenden. Die Köpfe der Nieten sollen am Kesselboden und den -seiten groß und dem Feuer zugewandt sein. An der Aussen- und der Kesseloberseite sollen die Köpfe zur Innenseite zeigen. Der Abstand zweier Nieten soll 50 mm sein, der Abstand zur Kante des Kesselbleches betrage 25 mm. […] Wenn der Kessel zusammengebaut ist, sollen die Kanten der Bleche mit einem stumpfen Meißel etwa 6 mm breit verstemmt werden. Dazu ist ein Hammer von mindestens 1,4 kg Gewicht zu verwenden. Ein Mann hält den Meißel und führt ihn weiter, während ein zweiter Mann zuschlägt. Alle Verbindungen über dem Wasserspiegel sind mit einer Mischung aus Salmiak und Wasser oder besser Urin zu befeuchten. Diese rosten dadurch an und werden dampfdicht. Wenn der Kessel fertiggestellt ist, soll er mit einem kleinen Feuer getrocknet werden. Über der Wasserlinie soll jede Verbindung und jede Niete mit einem Kitt aus Kreide und Leinöl eingestrichen werden. Dazu nehme man eine Bürste. Ein leichtes Feuer muß dazu unterhalten werden bis der Kitt kaum noch mit dem Daumennagel abzukratzen ist. Der Kitt darf jedoch nicht verbrennen und das Feuer muß solange unterhalten werden, bis er getrocknet ist.
Auch zum Fundament und zur Einmauerung gab es Anweisungen. Die Zahl der Ziegelschichten wurde festgesetzt, ebenso die Dicke der Isolation (75 mm). Dazu wurde ab 1779 Kuh- oder Pferdemist benutzt. Nach aussen wurde alles mit Kalkmörtel verputzt. Dieser hatte auch den Regen abzuhalten, ein Kesselhaus wurde nicht als notwendig erachtet.
Matschoss zählte einige weitere Hilfsstoffe auf, die man ab 1798 in Oberschlesien nutzte 10:
Alle nur möglichen Dichtungsstoffe wurden, zuweilen in riesigen Mengen, verwendet. So wurden z. B. für eine mittlere Maschinenanlage und ihre Kessel bestellt: 20 Ztr. Blei, 25 Pfd. Bleiweiß, 20 Quart Leinöl, 15 Ellen Leinwand, 132 Pfd. Hanf, 66 Pfd. Talg, 20 Pfd. Mastrichter Leder, 70 Pfd. Werg, 80 Quart Teer, 6 Bogen Papier. Blei, Hanf und in Leinöl getränktes Papier wurden für den Kessel bevorzugt. Aber trotz alledem berichten die alten Akten immer wieder, »daß die Kessel wieder undicht geworden sind, besonders an den Ecken, wo vier Bleche aufeinander liegen.«
Armaturen
Die in Bild @fig:1799-4 und @fig:1799-5 erkennbaren Vorrichtungen um Kesselwasser nachzuspeisen sind 1794 erstmalig auf Boulton & Watt Zeichnungen zu sehen. Die Regulation des Zugs findet sich dort 1803. Der Wasserstand wurde mit Probierhähnen kontrolliert.
Der Dampfdruck wurde mittels eines Quecksilber-Manometers gemessen: ein U-förmig gebogenes eisernes Rohr mit einem Schwimmer am oberen Ende und einer daneben befestigten Skala 11.
Die Sicherheitsventile waren gewichtsbelastet. Weitere Angaben lagen nicht vor.
In einigen Zeichnungen findet sich ein Absperrventil, in anderen jedoch nicht.
Stand: 18.11.2018
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Wesentliche Teile der Maschine sind erhalten und werden im Deutschen Bergbau-Museum Bochum präsentiert. Meine Darstellung basiert auf der dortigen Infotafel Stand 05/2015. ↩
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Ich habe ein Modell einer »Bell Crank« gebaut. Details siehe unter Watt-Beta auf http://balancier.eu. ↩
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Lt. eigener Aussage hat Murray für seinen D-Schieber 1802 ebenfalls ein Patent bekommen Nicholson, 1805, S. 94. Matschoss gibt dafür als Nummer 2632 an. Bei ihm finden sich auch Zeichnungen weiterer Varianten Murray’s. Matschoss, 1908, Bd. 1 S. 459 f.. ↩
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In dieser Zeit betrug die Schutzdauer eines englischen Patentes 14 Jahre, Murdock’s Patent müsste also noch gültig gewesen sein. Leider lassen sich englische Patente nur durch Besuch der British Library recherchieren, online ist dies nicht möglich Klostermann, 1876, S.194. ↩
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Dickinson, a.a.O. S. 234 ↩
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Dickinson, a.a.O. S. 379 ff. ↩
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Dickinson, a.a.O. S. 236 ↩
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In einer Zeit, in der Quecksilber im Alltag fast völlig verschwunden ist, hier folgendes: Quecksilber (das Wort bedeutet flüssiges Silber) ist ein Schwermetall, welches unter normalen Bedingungen flüssig ist. Bedingt durch eine sehr hohe Oberflächenspannung wird es seine Unterlage nicht benetzen, statt dessen in Tropfenform aufliegen. Schon bei Zimmertemperatur gibt es Dämpfe ab. Diese sind stark giftig. Der Umgang mit Quecksilber war über viele Jahrhunderte z.B. für Alchemisten aber auch Mediziner (und Patienten !) alltäglich. In der Zeit Watt’s wurde Quecksilber u.a. als Mittel gegen Frauenleiden genutzt. Evangelista Torricelli erfand 1643 das Quecksilber-Barometer. Quecksilber ist sehr schwer (Dichte ca. 13,5 g/cm3). Das erklärt, weshalb ein eiserner Zylinder (Dichte 7,86g/cm3) in dem Meßrohr auf dem Quecksilber aufschwimmen konnte. An ihm wurde eine Ableseeinrichtung befestigt. Zur »Toxikologie von Quecksilber« siehe Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Abgerufen 19.11.2018 ↩