1784: Henry Cort nimmt ein Patent auf das Puddelverfahren
Beim Puddelverfahren wurde Roheisen mit Hilfe von Koks gefrischt, d.h. aus Roheisen mit seinem hohen Gehalt an Kohlenstoff (und anderen »Eisenbegleitern«) wurde Stahl gewonnen. Statt Stahl sprach man allerdings seinerzeit von Schmiedeeisen (wrought iron). Dazu wurde das Roheisen in einem speziellen Puddelofen mit Hilfe von Steinkohle geschmolzen und dann solange umgerührt, bis insbesondere der Kohlenstoff auf das gewünschte Maß reduziert war.
In den benutzten Öfen lag das Eisen in einer flachen Mulde, vielleicht rührt der Name daher (the puddle: die Pfütze ). Die körperlich äusserst anstrengende Arbeit hat aber auch ein Verb hervorgebracht: to puddle, im Deutschen eben puddeln.
Der so erzeugte Stahl (zunächst bis max. 0,6 % Kohlenstoff) war allerdings sehr inhomogen und schlackenhaltig. Daher war eine Aufbereitung nötig. Die Luppe 1 mußte dazu dem Ofen entnommen werden, ggf. zerschnitten, paketiert, dann feuerverschweißt und schließlich gewalzt. Nur so konnte das Endprodukt einigermaßen von Schlacke befreit und etwas homogenisiert werden.
Der Engländer Henry Cort hat das Puddelverfahren entwickelt. Lt. Selmeier handelte es sich um eine Doppelerfindung 2:
Cort ersetzte in der 1783 und 1784 patentierten Doppelerfindung das Holzkohlefrischen in der Schmiedeesse und das anschließende Schweißen der Luppe unter dem schweren Hammer durch die neue Kombination von Kohlefrischen im Puddelofen und Walzen.
Auch nach der Erfindung des Bessemerverfahrens und des Siemens-Martin-Verfahrens nahm die Zahl der Puddelöfen noch zu. Allerdings stieg die insgesamt produzierte Menge von Eisen und Stahl stark an. Insgesamt hat das Puddelverfahren rund 100 Jahre die Stahlherstellung dominiert.
Puddelstahl wurde zu Halbzeugen aller Art (Profile, Bleche, Draht) verarbeitet. Er war das bei Brückenbauten verwendete Material. Auch der Eiffelturm ist aus Puddelstahl erbaut worden (Baubeginn 1887).
Wie oben erwähnt, mußte die Schmelze in »the puddle« umgerührt werden. Dies geschah rein manuell. Die Größe der Puddelöfen war durch das Werkzeug des Puddlers (div. Stangen von mehreren Metern Länge) und damit durch seine körperliche Leistungsfähigkeit begrenzt, siehe Bild @fig:1784-1. Es gibt dazu unterschiedliche Zahlen der verschiedenen Autoren. Ich folge mal James J. Davis, der später amerikanischer Arbeitsminister unter drei verschiedenen US-Präsidenten war. Davis hat 1922 eine Autobiografie veröffentlicht, in der er u.a. seine Tätigkeit als Puddler beschrieb 3.
Dieser Text ist durchsetzt mit Sätzen wie diesem:
Some races are pig-iron; Hottentots and Bushmen are pig-iron. They break at a blow.
Manche Rassen sind Roheisen. Hottentotten und Buschmänner sind Roheisen. Sie zerbrechen bei einem Schlag.
Davis gibt einige Werte an, die ich hier zusammenfasse:
600 Pfund [272 kg] Roheisen wurden in einer Schmelze verarbeitet. Mit einem Schüreisen von 25 Pfund [11 kg] wurde gerührt. Danach wurde die Masse in drei Luppen zu maximal 200 Pfund [90 kg] geteilt. Davis schildert, daß Übergewicht nicht auf den Lohn angerechnet wurde, also sei es Ziel der Puddler gewesen, Luppen mit möglichst genau 200 Pfund zu erzeugen. Pro Schicht gab es 5 Schmelzen, jede dauerte zwischen 1 Stunde und 10 Minuten und 1 Stunde 40 Minuten.
Soweit Davis. Ungeachtet der genauen Zahlen: Die Erfahrung, das Geschick und die körperliche Leistungsfähigkeit des Puddlers beinflußten die Güte des Stahls direkt. Es ist also nicht verwunderlich, daß Puddler gesuchte Facharbeiter waren. Stolz und Selbstbewußtsein sprechen aus Davis’ Autobiografie.
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In Deutschland dauerte es bis 1824, als Christian Remy auf dem Rasselstein den ersten Puddelofen errichtete 4. Von Friedrich Harkort ist bekannt, dass er 1826 bei einer Reise nach England englische Puddler anwarb und dann einen Puddelofen auf Burg Wetter errichtete 5. Bild @fig:1784-2 zeigt einen Wagen, der zum Transport der Luppe vom Ofen zum Hammer genutzt wurde.
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1784: Watt findet eine neue Geradführung: Der Watt’sche Mechanismus
Beim Übergang von den einfach wirkenden Balanciermaschinen zu den doppelt wirkenden stellte sich ein neues Problem: Bislang hatte man die Kolbenstange mit einer Kette an den Balancier gehängt. Beim Kondensieren des Dampfes zog das entstehende Teilvakuum den Kolben hinunter und damit über die Kette auch den Balancier. Die Geradführung der Kolbenstange war so optimal gegeben.
Bei einer doppeltwirkenden Maschine wurde die Kolbenstange nun zusätzlich auf Druck belastet. Bei Dickinson findet sich eine Zeichnung aus dem Juni 1784, bei der der Balancier an seinem einen Ende ein Bogensegment mit Zähnen trägt 6. Die Kolbenstange geht in eine Zahnstange über. Zahnstange und Balancier greifen ineinander. Für mich wird in der Reproduktion nicht deutlich, wie die Zahnstange geführt wird.
Aber Watt hatte eine neue Idee. Er schrieb an Boulton 7:
I have started a new hare. I have got a glimpse of a method of causing a piston rod to move up and down perpendicularly by only fixing it to a piece of iron upon the beam, without chains or perpendicular guides, or untowardly frictions, arch—heads or other pieces of clumsiness ; by which contrivance, if it answers fully to expectation, about five feet in the height of the house may be saved in 8 feet strokes, . . . I have only tried it in a slight model yet, so cannot build upon it, though I think it a very probable thing to succeed, and one of the most ingenious simple pieces of mechanism I have contrived.
Ich habe mit etwas Neuem begonnen. Ich habe eine Idee, wie man die Kolbenstange nur durch eine eiserne Stange senkrecht führen könnte, die am Balancier befestigt wird, ohne Ketten, ohne weitere Führungen mit überflüssiger Reibung, ohne Bogensegmente oder irgendwelche anderen klobigen Teile. Diese Vorrichtung wird, wenn sie meine Erwartungen erfüllt, bei einem Hub von 8 Fuß etwa 5 Fuß in der Höhe des Maschinenhauses einsparen. … Bislang habe ich es nur mit einem kleinen Modell ausprobiert, so dass wir uns noch nicht darauf verlassen können, aber es wird vermutlich funktionieren und einer der raffiniertesten Mechanismen sein, den ich bislang ersonnen habe.
Über die eigentliche Aussage hinaus wird in diesen wenigen Sätzen für mich auch der Mensch James Watt sichtbar, der über Jahre immer wieder Niederschläge hinnehmen musste. Nun hält er seine Idee für so bedeutsam, dass er seinen Partner Boulton informiert, obwohl er noch keine letzte Gewißheit hat, daß die Idee sich auch in der Praxis bewähren wird.
Diesmal scheint aber alles recht rasch gegangen zu sein. In der oben erwähnten Zeichnung ist die neue Geradführung schon mit Bleistift einskizziert (für mich in der genannten Tafel nicht zu erkennbar). Lt. Dickinson handelte es sich dabei um insgesamt drei Lenker. Der erste wurde durch die eine Hälfte des Balanciers gebildet, der zweite war gleich lang und wurde im Maschinenhaus befestigt. Beide waren gelenkig mit dem dritten verbunden, an den mittig die Kolbenstange angriff 8.
Diese Lösung funktioniert im wahrsten Sinne des Wortes geräuschlos (im Gegensatz zu der Variante mit der Zahnstange). Sie hatte allerdings den Nachteil, das der Platzbedarf etwa um 50 % wuchs.
Im August 1784 wird eine Beschreibung der neuen Idee in eine Patentspezifikation aufgenommen. Deren Text und die dazugehörigen Skizzen sind eigentlich erstaunlich eindeutig und zeigen, dass Watt seine Idee auch schon weiterentwickelt hat 9. Die Fig. 9-11 in Bild @fig:1784-3 belegen, dass er durch die Verschiebung des Angriffspunktes der Kolbenstange den Raumbedarf schon verkleinert hat. Diese Anordnung wird in der Literatur als Wattgestänge oder auch Lemniskatenlenker bezeichnet 10. Sie spielt auch heute noch eine Rolle, z.B. in der Fahrwerktechnik.
{#fig:1784-3 width=11cm }
Im November findet sich dann der Watt’sche Mechanismus, so wie es dann über viele Jahre zum Standard wurde, in der Zeichnung für Whitbread’s Maschine 11.
Es war Watt gelungen, durch die Kombination der drei Lenker mit einem Storchschnabel (Pantographen), der als Zeichengerät für Verkleinerungen oder Vergrößerungen genutzt wurde, den Raumbedarf noch einmal zu senken 12. Ein weiterer Vorteil war, dass durch Ankopplung weiterer Parallelogramme leicht weitere Geradführungen möglich waren, zunächst für die nasse Luftpumpe, später auch für einen weiteren Zylinder (Compoundmaschinen).
Der Storchschnabel war ein seit dem 17. Jahrhundert bekanntes Zeichengerät, siehe Bild @fig:1784-4.
{#fig:1784-4 width=12cm }
Lange Zeit wurde die Kombination der drei Lenker mit dem Storchschnabel als Watt’sches Parallelogramm bezeichnet. Besser ist es jedoch, vom Watt’schen Mechanismus zu sprechen, der eben auf geniale Weise das Watt’sche Gestänge und das Parallelogramm kombiniert. Im englischen Sprachraum wird das Gestänge als »Watt’s linkage« und der Gesamtmechanismus als »parallel motion« bezeichnet.
Bild @fig:1784-5 zeigt die Komponenten des Watt’schen Mechanismus deutlicher. Der Balancier der Maschine besteht hier aus den Strecken A, B und C. B bildet zusammen mit D und G das Watt’sche Gestänge (blau) , wie es in Fig. 9 in Bild @fig:1784-3 der Patentspezifikation dargestellt ist. Die Kolbenstange H mit dem Kolben greift nun jedoch nicht mehr bei D an. C, E und F bilden zusammen mit D ein Parallelogramm und die Kolbenstange H greift nun an der Verbindung von E und F an. Die Strecken C, F und G sind gleich lang (im konkreten Beispiel 1/4 der Gesamtlänge des Balanciers (Summe von A, B und C). Auch D und E sind gleich lang. Durch das so gebildete Parallelogramm (grün) macht das Ende der Kolbenstange H (drehbar gekoppelt mit E und F) die gleiche Bewegung, als wenn sie an D gekoppelt wäre - nur eben »vergrößert«.
{#fig:1784-5 width=11cm}
Die konkrete konstruktive Umsetzung lässt sich in Bild @fig:1784-6 betrachten, welches den Watt’schen Mechanismus einer Modellmaschine zeigt. Hier sieht man auch gut, wie der Drehpunkt des Gestänges und die Kopplung der Kolbenstange mit den Strecken F und E ausgebildet sind.
{#fig:1784-6 width=12cm}
Watt schrieb 13:
Though I am not over anxious after fame, yet I am more proud of the parallel motion than of any other mechanical invention I have ever made.
Ich sehne mich nicht nach Ruhm - dennoch erfüllt die Erfindung der »parallel motion« mich mit mehr Stolz als jede andere meiner mechanischen Erfindungen.
Ich kann gut verstehen, dass Watt auf diese Erfindung stolz war. Er hatte ohne jedes Vorbild eine Idee entwickelt und zur praktischen Anwendung gebracht, die später zum Ausgangspunkt für eine Vielzahl weiterer »Getriebe« wurde. Eine intensive, theoretisch und mathematisch anspruchsvolle Auseinandersetzung wurde lange Zeit geführt. Einen Eindruck davon kann schon das Vorwort von Reuleux’ »Lehrbuch der Kinematik« vermitteln 14. Im Hauptgebäude der Technischen Hochschule Berlin befand sich eine Sammlung mit ca. 2000 kinematischen Modellen, von denen heute nur noch einige wenige erhalten sind 15. Aber auch mehr als 100 Jahre nach Reuleux ist das Thema noch aktuell, wie im Netz oder bei Youtube schnell deutlich wird. Als ein Beispiel diene KMODDL der Cornell University, die »Geometrie der reinen Bewegung« 16.
Stand: 24.11.2018
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Die Luppe wird im neuzeitlichen Sprachgebrauch durchaus zutreffend als Eisenschwamm bezeichnet. ↩
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Der Beitrag zu “Watt’s linkage” in der englischen Wikipedia enthält eine gute Animation, die den Bewegungsablauf zeigt und aus der auch deutlich wird, dass für eine Geradführung nur ein Teil der Lemniskate (die 8) genutzt werden darf. Abgerufen 14.11.2016. ↩
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Die Patentzeichnungen befinden sich in den sog. »Doldowlod Papers». Doldowlod House war ab 1798 Sommersitz von James Watt. Die Unterlagen verblieben dort, bis ein Nachfahre sie 1994 an die Birmingham Central Library verkaufte. Gibson-Watt, James David Stand 22.10.2008 Abgerufen 24.11.2018 ↩
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Wikipedia: Watt-Mechanismus Abgerufen 14.11.2016 ↩
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Die Maschine ist erhalten und wird in einem Museum in Sydney / Australien gezeigt Wikipedia En: Whitbread’s Engine Abgerufen 13.11.2016 ↩
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Wikipedia En: Parallel motion Abgerufen 14.11.2016 ↩
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Dickinson, a.a.O., S. 142 ↩
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Eintrag zu »Kinematische Sammlung - Reuleaux’sche Getriebemodell-Sammlung« auf universitaetssammlungen.de Online Stand Januar 2010 Abgerufen 29.8.2018 ↩
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Cornell University: KMODDL Kinematic Models for Design Digital Library Abgerufen 14.11.2016 ↩