1796: Die Soho Foundry von Boulton & Watt wird eröffnet
Als Matthew Boulton und James Watt 1775 ihre Partnerschaft eingingen, spielte eine eigene Produktion noch keine Rolle. Zylinder wurden bei John Wilkinson gegossen und dann auch dort ausgebohrt, viele andere Teile z.B. aus Holz oder Schmiedeeisen wurden »on site«, also auf der Baustelle von örtlichen Handwerkern angefertigt. Relativ schnell ging man aber dazu über, die Ventilkästen (Nozzles) selbst zu fertigen. So konnten Änderungen rasch umgesetzt werden und das Know How dieser zentralen Teile blieb innerhalb der Firma. Es wurden die Räumlichkeiten von Boulton’s Soho Manufactory genutzt, die eigentlich für die Massenfertigung von z.B. Knöpfen und Schnallen erbaut und ausgelegt war.
1794 gab es wohl die ersten Überlegungen, eine neue Fabrikation zu errichten 1. James Watt hatte sich da wohl schon weitgehend aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und es war sein Sohn, James Watt junior, der mit Boulton bzw. dessen Sohn Matthew Robinson Boulton nun die Geschäfte führte. Die bis dahin genutzte Soho Manufactory hatte keinen Wasseranschluß, was sich immer mehr als nachteilig herausstellte. Letztlich wählte man ein Gelände direkt am Birmingham Canal in der Nähe der Manufactory.
Auch der Umstand, dass John Wilkinson sein Monopol auf das Ausbohren von Zylindern ausgenutzt hatte und seine langjährigen Auftraggeber hintergangen hatte, dürfte eine Rolle gespielt haben, siehe [1775: John Wilkinson baut eine neue Zylinderbohrmaschine].
Die neue »Soho Foundry« wurde am 30.1.1796 mit einem Bankett für 200 Gäste eingeweiht.
John Southern schrieb 2:
Upwards of 200 partook of the bounty of the founders and the day was conducted without any misfortune, except a litte, or rather not a little, thieving, and it is not a little remarkable that nothing came amiss to them, knives, forks, peper boxes, mustard pots, drinking cups, juggs, table cloths, knife cloths, spoons, cocks, &c. &c.
Mehr als 200 genossen die Großzügigkeit der Gründer und der Tag wurde ohne Mißstimmung verbracht - bis auf ein wenig Diebstahl oder genauer nicht ein wenig und es ist durchaus bemerkenswert, daß nichts mehr sicher war, kein Messer, keine Gabel, kein Pfefferstreuer, Senftopf, Trinkbecher, Krug, Tischtuch, Messertuch (sic!), Löffel, Hahn etc. etc.
Folgende Werkstätten der neuen Fabrik listet Dickinson auf 3:
- Bohren - Drilling shop
- Schwere Drehteile - Heavy turning shop
- Montage schwerer Teile - Heavy fitting shop
- Ventilkästen - Nozzle Shop
- Montage - Fitting Shed
- Geradführungen und Ventilgestänge - Parallel Motion and Working Gear Shop
- Montage leichter Teile - Light Fitting Shop
- Gußmodell - Pattern Shop
- Gießerei - Casters’ Shop
- Schmiede - Smiths’ Shop
Vermutlich war die Soho Foundry mit einer solchen Aufteilung und auch Größe zu diesem Zeitpunkt einzigartig. Wenig überraschend liest man bei Dickinson 4, daß eine Reihe von Anlaufschwierigkeiten auftraten. So war es z.B. nicht einfach, Facharbeiter zu bekommen. Former wurden überall gesucht. Andere Gießereien lieferten bessere Gußteile. William Murdock ging 1799 auf eine Rundreise. U.a. besuchte er Matthew Murray. Obwohl Konkurrent, scheint Murray recht mitteilsam gewesen zu sein.
Der junge Boulton schrieb an Watt junior 5:
… They were admitted into every part of Murray’s manufactory, & spent two evenings with him, & by virtue of a plentiful doze of ale succeeded in extracting from him the arcana & mysteries of his superior performances.
… Sie bekamen Zugang zu allen Teilen von Murray’s Fabrik und verbrachten zwei Abende mit ihm. Mit der wirksamen Hilfe einer reichlichen Menge Bier gelang es, ihm die Geheimnisse seiner hervorragenden Leistung zu entlocken.
Jedoch scheint es mit der Umsetzung der auf so amüsante Weise gewonnenen Geheimnisse doch nicht so recht geklappt zu haben. Letztlich wurde ein Facharbeiter von Murray abgeworben. Damit konnte dann die gewünschte Qualität erreicht werden.
Ein gutes Jahr nach der feierlichen Eröffnung schrieb Watt junior 6:
… our connection with the iron king at Bradley is dissolved and by our new works we are independent of all such iron tyrants
… unsere Verbindung mit dem Eisen König aus Bradley ist aufgelöst und mit unserer neuen Fabrik sind wir nun nicht länger von solchen Eisen Tyrannen abhängig
Dennoch blieb das Ausbohren von immer größer werdenden Zylindern eine Herausforderung. Mit einem neuen Bohrwerk, welches William Murdock konstruiert hatte, gelang es 1799 erst nach diversen Schwierigkeiten einen 64 inch Zylinder auszubohren - immerhin gut 1,6 m ø. Die Bohrstange wog 3,5 t !
Insgesamt brauchte man rund 27 Tage für den Vorgang. In der Boulton & Watt Collection findet sich ein Papier, in dem der Ablauf genau aufgeschlüsselt ist 7:
- 3/4 Tag: Gußteil zur Maschine verbringen
- 1 1/2 Tage: Zentrieren + aufspannen
- 1/2 Tag: Planen
- 1/2 Tag: Bohrstahl einrichten
- 11 1/2 Tage: Ausbohren
- 1 Tag: Einen zweiten Durchgang vorbereiten
- 8 1/2 Tage: Ausbohren
- 1 1/4 Tage: Planen
- 1 1/2 Tage: Trichterförmige Aufweitung (im Original: bellmouthing)
- 1/2 Tag: Abtransport
Die Geschäfte der Soho Foundry scheinen jedenfalls lange sehr gut gegangen zu sein. Offensichtlich waren auch die Söhne der Gründer erfolgreich.
Matthew Boulton starb 1809, John Southern 1815, James Watt 1819, Matthew Robinson Boulton, der Sohn des Gründers, 1842 und James Watt Junior 1848. Damit war die Generation der Gründer und ihre Söhne verstorben und die Firma ging in andere Hände über. Als schließlich 1895 die Schließung erfolgte, führte ein Auktionskatalog folgenden Maschinenbestand auf 8:
- 60 Drehmaschinen
- 9 Hobelmaschinen
- 5 Radialbohrmaschinen
- 18 Vertikalbohrmaschinen
- 4 Bohrwerke
- 3 Nutenmaschinen
- 4 Kesselblech-Bohrmaschinen
- 3 Dampfhämmer
- 1 hydraulische Nietmaschine
1895 hat die Zeitschrift »The Engineer« einen Bericht über die Schließung veröffentlicht 9. Dieser enthält einige beeindruckende Zeichnungen von Werkzeugmaschinen. Wo möglich, hat man die Maschinen ortsfest, unter Ausnutzung von z.B. Wänden oder Decken errichtet, siehe Bild @fig:1796-1.
{#fig:1796-1 width=14cm}
Das Gelände ging dann auf Avery Berkel (ein britischer Hersteller von Waagen) über, die auch heute noch zumindest einen Teil nutzen. Auf der Avery-Webseite 10 finden sich einige historische Fotos, u.a. eine Aufnahme des Hauptportals mit dem Firmennamen nach den Tode von James Watt Junior:
JAMES WATT & Co. ENGINEERS.
1796: John Southern entwickelt den Indikator
Man hatte bei Boulton & Watt schon einige Jahre mit einem Anzeigegerät für den Druck im Zylinder experimentiert. Dabei handelte es sich um einen kleinen Zylinder mit einem federbelasteten Kolben, der direkt in eine Bohrung des Arbeitszylinders gesteckt wurde und damit den gleichen Druck erfuhr. Ein Zeiger an der Kolbenstange und eine kleine Skala machten das Ganze zum Indikator, zum Druckanzeiger.
1796 schrieb John Southern 11
Tell Mr. Lee I have contrived an instrument that shall tell accurately what power any engine excerts.
Sag Mr. Lee dass ich ein Gerät ersonnen habe, welches präzise die Leistung anzeigt, die eine Maschine entwickelt.
In einem weiteren Brief Southern’s aus dem gleichen Jahr findet sich dann die erste Zeichnung eines Indikatordiagramms. Southern hatte anstelle des Zeigers einen Stift gesetzt, der auf ein Papier schrieb. Dieses wiederum war auf einer beweglichen Unterlage befestigt, die mit dem Kolben hin- und herging. Ein schönes Bild einer Replika findet sich beim Smithsonian 12.
Die Fläche, die sich aus diesem Diagramm bestimmen läßt, ist ein direktes Maß für die sogenannte »innere Arbeit« der Maschine. Mit der Zahl der Arbeitsspiele und der Drehzahl folgt die »indizierte Leistung«. Abzüglich der Reibungsverluste ergibt sich die sogenannte »effektive Leistung«. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Möglichkeit gab, die effektive Leistung experimentell zu bestimmen, war die indizierte Leistung von hoher Bedeutung.
Boulton & Watt nutzten dieses wunderbare Gerät etliche Jahre, ohne das andere davon erfuhren. Selbst John Farey lernte das Gerät erst 1819 in Rußland kennen (vermutlich bei einer dorthin exportierten Boulton & Watt Maschine) 13.
Aber wie sieht denn nun ein Indikatordiagramm aus und welche Details liefert es?
{#fig:1796-2 width=11cm}
Dies sei anhand Bild @fig:1796-2 mit einem Text von 1919 erläutert 14. Hier frei übersetzt:
Die geschlossene Kurve C D E F G H wird vom Indikator gezeichnet. Sie ergibt sich auf der einen Seite des Kolbens. Die Gerade A B wurde ebenfalls vom Indikator gezeichnet, jedoch war die Maschine zu diesem Zeitpunkt nicht mit Dampf beaufschlagt und beide Seiten des Indikatorkolbens waren unter Luftdruck. Die X-Achse O X, die Y-Achse O Y und die Gerade J K werden, falls benötigt, von Hand gezeichnet und können als Bezugslinien angesehen werden.
Der Abschnitt C D zeigt den Druckanstieg im Zylinder direkt nach dem Öffnen des Dampfventils. Falls Dampf schnell eintritt und die Maschine gerade im Totpunkt steht, wird diese Linie nahezu vertikal sein.
Der Abschnitt D E entsteht bei geöffnetem Ventil und einströmendem Dampf. Im Idealfall gäbe es hier keinen Druckabfall. Drosselung, wire-drawing und Kondensation ergeben die dargestellte reale Kurve.
Bei E wird das Ventil geschlossen und kein weiterer Frischdampf strömt ein. Dieser Punkt kann u.U. nicht exakt bestimmt werden. Üblicherweise liegt er aber im Kurvenübergang von konvex zu konkav.
Abschnitt E F zeigt den Druckabfall, wenn der Dampf hinter dem sich bewegenden Kolben expandiert - das Volumen steigt.
Am Punkt F wird das Abdampfventil geöffnet.
Der Abschnitt F G zeigt den Druckverlust bei geöffnetem Abdampfventil im oder in der Nähe des Totpunktes.
Abschnitt G H zeigt den Druck, gegen der der Kolben beim Zurückgehen arbeitet. Bei Indikatordiagrammen von nicht kondensierenden Maschinen fällt dieser entweder mit A B zusammen oder liegt etwas darüber. Bei Diagrammen von kondensierenden Maschinen liegt der Abschnitt unterhalb A B, der Abstand hängt dann von dem Vakuum ab, welches im Zylinder entsteht.
Bei H schließt das Abdampfventil. Er kann nur ungefähr bestimmt werden, da die Druckänderung zunächst vom Schließvorgang bestimmt wird.
Die Abweichung von der Ideallinie (dazu ggf. die Quelle einsehen, diese müsste erst waagerecht, dann senkrecht verlaufen) folgt aus dem nicht schlagartigen Schließen des Auslaßventils und dem frühen Öffnen des Einlaßventils. Der Kolben wird abgefedert, eine Verkleinerung des Clearance Volumens ist gesichert.
Der Druckanstieg im Abschnitt H C ist durch den Restdampf gegeben, der nach Schließen des Auslaßventils im Zylinder verblieben ist, während gleichzeitig der Kolben der Totpunktlage zustrebt.
Die Linie A B wird vom Stift des Indikators gezeichnet, wenn er keine Verbindung zur Maschine hat und beide Seiten des Kolbens unter Atmosphärendruck stehen. Die Linie gibt also den normalen Luftdruck an oder eben Null beim Dampfmanometer.
Die X-Achse wird von Hand gezeichnet und bezeichnet das ideale Vakuum.
Die Linie des Kesseldrucks J K wird ebenfalls von Hand eingezeichnet. Der Abstand zu AB entspricht dem Kesseldruck, wie er vom Manometer angezeigt wird.
Die Differenz (in pounds) zwischen J K und dem Abschnitt D E ist ein Maß für die Druckverluste in der Verrohrung und den Dampfkanälen.
Der Abstand von C zur Y-Achse ist ein Maß für die Volumina, die mit Dampf gefüllt werden und über den gesamten Hub konstant bleiben [schädlicher Raum / Schadraum / Totraum].
Auch heute noch werden täglich Indikatordiagramme aufgezeichnet. Allerdings spricht man bei Verbrennungsmotoren von der Zylinderdruckindizierung. Dabei werden mit elektronischen Meßaufnehmern Druck-Volumendiagramme erzeugt - prinzipiell das gleiche was auch schon 1796 gemacht wurde !
Stand: 8.11.2018
-
Dickinson, a.a.O. S. 270 ↩
-
Dickinson, a.a.O. S. 276 ↩
-
Dickinson, a.a.O. S. 271 ff. ↩
-
Dickinson, a.a.O. S. 273 ↩
-
Zitiert nach Bottomley, 2014, S. 254 ↩
-
Dickinson, a.a.O. S. 278 ↩
-
Dickinson, a.a.O. S. 279 ↩
-
Avery Berkel Geschichte Abgerufen 4.10.2016 ↩
-
Watt Steam Engine Indicator (Replica, 1927) Abgerufen 23.9.2018 ↩