1855: Jacob Mayer erhält auf der Weltausstellung in Paris für seine Gußstahlglocken eine Goldmedaille

Jacob Mayer, der ab 1845 in Bochum die Gußstahlfabrik Mayer und Kühne betrieb, ist auch im Ruhrgebiet bei weitem nicht so bekannt wie es angemessen wäre. Auch die verfügbare biografische Literatur zu Mayer und den auf ihn zurückgehenden Bochumer Verein ist eher übersichtlich.

Mayer zeigte wohl erstmals 1852 auf der Gewerbeausstellung in Düsseldorf eine Reihe seiner Produkte. Im Katalog heißt es 1:

Mayer und Kühne, Gußstahlfabrik in Bochum (Westphalen) 2 Gußstahlplattenwalzen a 5000 Pfd., eine große Gußstahl-Feile 200 Pf., 1 Sortiment Gußstahlfeilen. 1 6-pfündiges Gußstahl-Kanonenrohr 6 Gußstahlglocken a 2700 Pfd., 1300 Pfd., 850 Pfd., 200 Pfd., 120 Pfd. und 180 Pfd. 6 Gußstahl Tafeln

Erst ein Jahr zuvor, bei der Londoner Weltausstellung im Crystal Palace, hatte Krupp mit seinem 4300 Pfund schweren Gußstahlblock großes Aufsehen erregt und eine Goldmedaille erhalten. Ganz offensichtlich beherrschte man nun also auch in Bochum den Umgang mit dem Guß aus Tiegeln, denn die in Düsseldorf gezeigten Walzen mit ihren 5000 Pfund waren ja fertig bearbeitet!

Krupp, der natürlich auch in Düsseldorf vertreten war, hatte folgenden kurzen Eintrag im Katalog:

Fried. Krupp in Essen, Gußstahlfabrikant. Gußstahl-Walzen, Achsen, Stempel u. dgl.

Mayer’s Exponate belegen aber nicht nur, daß man in Bochum hinsichtlich der Gießtechnik in kurzer Zeit Anschluß an Krupp gefunden hatte. Die gezeigten Glocken waren der Beweis für die Beherrschung einer ganz neuen Technologie - den Stahlformguß, heute üblicherweise Stahlguß genannt.

Bis dahin konnte Gußstahl nicht in eine Form ähnlich dem Eisenguß gegossen werden, sondern nur zu Halbzeugen wie Stangen oder Blöcken gegossen werden. Diese Halbzeuge mußten dann in weiteren Arbeitsgängen gereckt, gewalzt und geschmiedet werden. Genau so wurde in der Gußstahlfabrik Friedrich Krupp in Essen gearbeitet.

Mayer hatte für seine Glocken mehrere Probleme zu lösen. Zunächst muß Stahl deutlich heißer gegossen werden als Eisen, da er sonst nicht hinreichend fließt. Das bedeutete, dass Ofenverkleidungen, Schmelztiegel, Gießwerkzeuge und Formen deutlich belastbarer sein mußten als beim gewohnten Gußeisen. Ferner mußte ein geeignetes Material für den Formsand gefunden werden, standfest, gasdurchlässig und temperaturbeständig. Werkstücke aus Stahlguß weisen Spannungen auf, die durch Glühen abgebaut werden müssen. Schließlich schwindet (»schrumpft«) Stahlguß beim Erkalten etwa doppelt so stark wie Gußeisen.

Als Mayer nun Glockenguß zeigte, markierte das den Anfang einer mehrere Jahre dauernden, scharfen Auseinandersetzung mit Krupp. Dieser war scheinbar der Überzeugung, dass ohne dem Guß folgende umformende Arbeitsgänge kein hochwertiges Produkt möglich sei.

1854, als die Gußstahlfabrik Mayer und Kühne, der es stets an Kapital gefehlt hatte, unter Beteiligung kapitalstarker Finanziers in den »Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation AG« überführt wurde, attackierte Krupp die Bochumer massiv. Wolbring schildert, dass die Auseinandersetzungen großenteils via Zeitung öffentlich ausgetragen wurden. Bei der ersten Aktionärsversammlung des gerade gegründeten Bochumer Vereins am 1.9.1854 ließ Krupp ein Schreiben verteilen, in dem er darlegte 2

dass die Glocken der dortigen Gußstahl-Fabrik […] durch keine Eigenschaft sich von Roheisen unterscheiden und durch keine die geringste Verwandtschaft mit Gußstahl bekunden

Den gleichen Text veröffentlichte der »Kölnische Anzeiger« am Tag darauf als Inserat Krupp’s. Derartig brüskiert und in seiner Ehre getroffen reagierte Mayer ebenfalls per Zeitungsinserat. Wenige Wochen später trat Mayer den Beweis durch Umschmieden seines Gußstahls an (Gusseisen ist nicht schmiedbar). Krupp beharrte auf seinem Standpunkt.

Wolbring behauptet, dass Alfred Krupp wirklich glaubte, was er den Aktionären und den Zeitungslesern dargelegt hatte.

1855 zeigte Mayer seine Glocken auf der Weltausstellung in Paris. Dort hieß es in einem amtlichen Bericht 3:

Mit der Darstellung der Facongüsse aus Gußstahl, deren Arbeit als sein Geheimnis gewahrt wird, ist der Anwendung dieses vortrefflichen Materials ein neues Feld eröffnet und der Maschinenkonstruktion ein weiteres unschätzbares Hilfsmittel geboten. Können Stücke wie Kurbelachsen, Reifen für Lokomotivräder und dergeleichen schon in einem Guß eine solche Form erhalten, daß für Hammer oder Walze nur die Dichtung und letzte Vollendung verbleibt, so ist eine Menge Arbeit, welche bisher aufgewandt werden mußte, gewonnen, und wenn überhaupt beim Gußstahl wie bei Bronze, Guß- und Schmiedearbeit Hand in Hand gehen können, so werden wir nicht nur eine Menge Gegenstände mit Hilfe dieses Materials schneller und billiger, sondern auch manche neue Erzeugnisse entstehen sehen, deren Herstellung bisher nicht lohnend gewesen wäre.

Krupp hatte schon im Vorfeld alles getan, um die Jury und auch die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dabei schreckte er auch vor Bestechung nicht zurück. Selbst als eine vom Bochumer Verein gestellte kleine Glocke zerschlagen wurde und das Material sich erneut als schmiedbar erwies, formulierte Krupp einen Brief an die Jury der Weltausstellung, in dem er darlegte, es könne sich hier um einen Betrug handeln und forderte, eine der ausgestellten Glocken zu zerschlagen und zu testen. Der Vertreter der preussischen Ausstellungskommision untersagte es Krupp, den Brief abzusenden 4.

Der Bochumer Verein erhielt für seine Glocken aus Gußstahl eine »Große Goldene Ehrenmedaille«, Jacob Mayer erhielt mit dem Orden der Ehrenlegion den höchsten Verdienstorden Frankreichs 5.

Erst ab 1863 wurde auch bei Krupp der Mayer’sche Stahlformguss praktiziert 6.

Heute wird Stahlguß für viele hochbelastete Werkstücke genutzt. Es werden Gewichte von mehreren hundert Tonnen erreicht 7.

Stand: 27.8.2019


  1. Katalog der Provinzial-Gewerbe-Ausstellung für Rheinland und Westphalen in Düsseldorf, 1852, S. 19 

  2. Wolbring, 2000, S. 151 

  3. Bertram, 1954, S. 48 f.  

  4. Wolbring, a.a.O. S. 154 

  5. Marco Rudzinski: Jacob Mayer - Ein Pionier des Stahlzeitalters. In: Petzina, 2014, S. 14 

  6. Bertram, a.a.O. S. 51 

  7. Als ein Beispiel möge die Darstellung der Siegener Firma Gontermann-Peipers dienen. Abgerufen 11.9.2016